JMStV reloaded – Strategien für einen akzeptablen Jugendmedienschutz (Teil 3)

JMStV und Jugendmedienschutz in der Medienpädagogik

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Reitet das Netzpferdchen!

Internetführerscheine sind die offline-Variante von Quiz-Spielen auf Webseiten der Jugendschutz-Agenturen.

Medienführerscheine haben Konjunktur als Verschulungsversuch der Medienerziehung. Statt Medienkompetenz in Kritik und Praxis selbst aneignend zu erarbeiten, soll der „Stoff“ zwischen Buchdeckeln gepackt, klassisch gelehrt und abgeprüft werden. Gerade die sonst beispielhaften Medienkompetenz-Initiativen in Rheinland-Pfalz (zB. diese und diese) werden gekontert mit einem verpflichtenden (!) Surf-Führerschein, mit dem Schüler ihre Fähigkeiten unter Beweis (!) stellen sollen. Ein Curriculum gibt es freilich noch nicht. Wohl aber Verleger-Interessen um das „richtige“ Medienbild zu vermitteln – nicht nur in Bayern. Auch in NRW klopfen bereits die Schulbuchverlage an der Tür der Staatskanzlei, die von Marc Jan Eumann versprochene Einbeziehung von medienpädagogischen Institutionen in der Ausgestaltung der im Koalitionsvertrag vereinbarten Netzpferdchen-Initiative steht weiterhin aus.

Wir müssen vielmehr eine „Therapie“ befürchten, wie sie von der SPD seit 2009 auch beschlossenes Bundesprogramm ist. Schämt euch hierfür:

„Zugleich ist zu konstatieren: Die Auflagen und Reichweiten der regionalen Tageszeitungen sinken kontinuierlich – und im Ergebnis – dramatisch. Vor allem Jüngere verzichten immer häufiger auf die Nutzung  der Tageszeitung. Dies bestätigt die aktuelle JIM-Studie 2008. Auf die  Frage, auf welches Medium Jugendliche im Alter von 12 bis 19 Jahren am  wenigsten verzichten können, hat das Internet das Fernsehen mit 29  Prozent zu 16 Prozent deutlich hinter sich gelassen. Das Schlusslicht bilden die Tageszeitungen.“

„Lediglich drei Prozent der Jugendlichen  erklären die Tageszeitung zum Favoriten. Im Jahr 2000 waren es immerhin noch 9 Prozent – und das Fernsehen war in jenem Jahr mit 34 Prozent einsamer Spitzenreiter.“

„Keine Patentrezepte – aber Nichtstun wäre genau das Falsche!“

„Wie lässt sich dieser Trend stoppen, wenn er sich schon nicht umkehren lässt? Ein Patentrezept gibt es nicht. Aber deshalb sollte nicht auf  alle Therapiemöglichkeiten verzichtet werden. So könnte die Zeitung  integraler Bestandteil des Unterrichts und der Ausbildung werden. Aus  einzelnen, hervorragenden Projekten wie „ZeitungsZeit“ oder „Zeitung in  der Schule“ müssen flächendeckende und verbindliche Angebote an allen  Schulen werden (vgl. dazu: Rager/Schäder: ZeitungsZeit – Nachrichten für die Schule. Evaluationsbericht 2008). In diesen Kontext gehört auch das Thema Medienkompetenz. Angesichts der Vielzahl verfügbarer Quellen  geht es um die Fähigkeit des Einzelnen, gezielt Informationen aus der Datenflut herauszufiltern, diese einzuordnen und zu bewerten (vgl. dazu: Medienkompetenz 2.0 – Impulse für eine vernetzte Bildungs- und  Medienpolitik, Beschluss auf dem Hamburger SPD-Parteitag 2007).“

Mario Sixtus twitterte zum Thema treffend: „Auffällig, dass nur die von einem Internetführerschein phantasieren, die selbst durch die Prüfung rasseln würden.“ (Quelle)

Perspektiven und Strategien für den erneuten JMStV-Novellierungsprozess

  • Es ist deutlich sichtbar, dass noch mehr Lobbyarbeit für demokratische Netzinteressen notwendig wird. Leider gibt es hierfür keinen Finanzier, es bleibt beim unverzichtbaren ehrenamtlichen Engagement.
  • Zwar bemüht sich die KJM im Titel zu ihren JMStV-Veranstaltungen „transparent“ zu sein, allerdings ist ein transparente Verhandeln des JMStV nicht wahrnehmbar. Die unverzichtbare Transparenz des Novellierungsprozesses und eine ernsthafte Beteiligung an den Verhandlungstischen und Gremien ist unmissverständlich und nachdrücklich einzufordern! Dieser Forderung können sich gleich die Länder-Parlamente und Landes-Parteien anschließen. Eine frühzeitige Einbindung vermeidet ein wiederholtes spätes Scheitern der Novellierung.
  • Die bisherigen Verlautbarungen der Parteien sind zu überprüfen und eindeutige Positionen einzufordern. Solange Jugendschutz Ländersache ist, sollte Jugendmedienschutz auch ein Wahlkampfthema in den Ländern sein– Landtagswahlen gibt  es in 2011 ja reichlich. Die Piratenpartei stimmt bereits ein Positionspapier zum JMStV ab.
  • Eine verstärkte Mobilisierung von Eltern, Schülern, Lehrern, (Medien-)Pädagogen und Jugendarbeitern ist notwendig um die Auseinandersetzung breiter aufzustellen. Sie sollten auch zur inhaltlichen Ausgestaltung von Medienführerscheinen angesprochen und einbezogen werden.
  • Die re:publica und das Politcamp sollten noch stärker das JMStV-Thema aufgeifen und Medienkompetenz und „Medienführerscheine“ diskutieren.
  • Alternative Jugendschutz-Software-Initiativen nach dem crowdsourcing-Modell sollten Unterstützung erfahren und ebenso als „Jugendschutzprogramm“ bezeichnet und anerkannt werden. Die Aktivitäten von @mrtopf unter werateit.de, @henningtillmann, @kinkon und @elternansnetz sind erfreuliche Ansätze, die Mut machen und neue Wege für einen innovativen Jugendschutz unter Mitwirkung aller zu Beteiligenden eröffnen.
  • Kritisch zu hinterfragen ist die Rolle der BPjM im Novellierungsprozess. Hier sollte nicht nur die Bundespolitik die veränderte Ausrichtung mehr thematisieren.
  • Und, wird der neue BLM-Präsident auch wieder KJM-Vorsitzender? Eine Kandidatin ist Gabriele Goderbauer-Marchner, die in ihrem Blog (!) Herausforderungen für die BLM in der Kommunikationsrevolution nennt. U.a. die Aussage „Die Mediennutzer haben auch ein Anrecht auf Qualität im Internet.“ gibt den Hinweis wachsam zu bleiben.

Ich freue mich auf auf eure Unterstützung bei der digitalen Ausgestaltung einer lebendigen Gesellschaft!

Lizenz

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Jürgen ErteltDies ist ein Gastbeitrag von Jürgen Ertelt. Der Autor (*1957) ist Sozial- und Medienpädagoge, arbeitet als Koordinator bei jugendonline.eu. Dort ist er u.a. für das Netzwerk netzcheckers.net verantwortlich.
Als Webarchitekt und Autor entwirft er Community-Software für die pädagogische Arbeit. Zur Zeit arbeitet er an Angeboten im Bereich mobiles Lernen mit digitalen Medien.

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