Apps in der außerschulischen Bildung
Dieser Artikel von Björn Friedrich, Studio im Netz, München und Daniel Seitz, mediale pfade, ist erstmals in „merz – medien und erziehung, Ausgabe 3/2014 zum Thema Apps erschienen und unter CC-BY-SA Björn Friedrich, Daniel Seitz veröffentlicht. Er ist hier als PDF verfügbar.
Aktuelle medienpädagogische Praxis
Es klingt wie eine Binsenweisheit, dass wir medienpädagogische Fachkräfte stets mit aktuellen Entwicklungen Schritt halten müssen und versuchen sollten, uns dem rasanten technischen Fortschritt anzupassen, da die verfügbare Technik unmittelbare Auswirkungen auf das Mediennutzungsverhalten unserer Gesellschaft hat. Diese Anforderung ist zunächst einmal nicht ungewöhnlich, schließlich stellt sie sich auch in jedem anderen Berufszweig, und doch bedeutet es gerade für die Medienpädagogik, dass alte, bewährte Handlungsmuster regelmäßig auf den Prüfstand gehören, um selbstkritisch herauszufinden, ob sie noch zeitgemäß sind oder überholt, zumindest aber aktualisiert werden müssen.
Wie rasch derartige inhaltliche Updates nötig sind zeigt sich, wenn wir zehn Jahre zurück blicken. 2004 waren Internet und Handys noch „neue Medien“, das Wort „Apps“ war völlig unbekannt, und in Amerika gründeten ein paar Studenten ein Netzwerk namens „Facebook“ – nicht ahnend, dass sie damit bald das digitale globale Dorf auf den Kopf stellen würden. Erst drei Jahre später präsentierte Steve Jobs ein Gerät, das die Mediennutzung komplett umkrempeln sollte: das iPhone. Obwohl Smartphones schon länger existierten und von Herstellern wie Blackberry oder Nokia bereits vertrieben wurden, gelang es erst Apple, diese Technik massenkompatibel zu machen. Im Jahr 2010 folgte schließlich das iPad, das die Verbreitung von Tablets einleitete, die (wenn man so will) eine Mischung aus Computer und Smartphone darstellen. Es war also Apple, so viel muss man bei aller Kritik anerkennen, die diese medientechnische Revolution initiierten – eine Revolution, deren Ergebnis es im Jahr 2014 ist, dass wir heutzutage zunehmend Tablets und Smartphones verwenden, um Medien zu konsumieren. Egal, ob es um die Nutzung von Radio-, Fernseh- oder Internet-Inhalten geht: Die medialen Alleskönner vereinen sämtliche Funktionalitäten und liegen deshalb in der Gunst (besonders jüngerer) Nutzer vorne.
Aus diesem Grund widmet sich auch die Medienpädagogik vermehrt den diversen Fragestellungen rund um diese neuen Techniken: Wie wirkt sich die zunehmend mobile Mediennutzung und die permanente Online-Verfügbarkeit auf das Nutzungsverhalten der Menschen aus? Wie können welche Geräte in der aktiven Medienarbeit gewinnbringend eingesetzt werden? Und welche Apps eignen sich für die medienpädagogische Praxis?
Die Entwicklungen vielfältiger Applikationen für mobile Geräte zeigt derzeit faszinierende neue Einsatzmöglichkeiten, Arbeits- und Herangehensweisen auf. Das Angebot an Apps ist riesig, der Markt ist (auch dank der unterschiedlichen Betriebssysteme und App-Stores) leider äußerst unübersichtlich, aber unbestreitbar sind in der App-Entwicklung derzeit wohl die faszinierendsten Neuerungen in der Medienlandschaft zu beobachten. Während die Entwicklung von Computerprogrammen, Webseiten und Computerspielen auf einem so hohen Niveau angelangt ist, dass eine gewisse Stagnation des Innovationspotentials zu beobachten ist, wird auf dem Feld der Apps noch ausgelotet, wo die Möglichkeiten und Grenzen liegen – der technisch machbaren, aber auch der gesellschaftlich akzeptablen und von den Nutzenden eingesetzten Angebote. Hier wird gebastelt, getüftelt und experimentiert, und so sehen wir uns einem täglich wachsenden Angebot von teils mehr, teils weniger spannenden Apps gegenüber. Für die Medienpädagogik stellt sich hier also einmal mehr die Aufgabe, die Entwicklung im Auge zu behalten und die Perlen (sowie die noch ungeschliffenen Rohdiamanten) zu erkennen, um sie in didaktisch sinnvolle Settings einzubinden.
In der so selbstverständlich klingenden Formulierung „didaktisch sinnvoll“ liegt der nächste mögliche Fallstrick verborgen: Wir dürfen nämlich nicht der Versuchung erliegen, Apps nur um der technischen Möglichkeiten willen, quasi zum Selbstzweck, einzusetzen, sondern müssen die angebotenen Applikationen kritisch auf die Sinnhaftigkeit der Einsatzmöglichkeiten überprüfen. Idealerweise steht das pädagogische Konstrukt fest, bevor die einzusetzenden Apps ausgewählt werden – und so ist es durchaus angebracht, auch herkömmliche Modelle und Methoden einzusetzen, jedoch angepasst an die neuen Arbeitsbedingungen, die sich aus der Arbeit mit Apps ergeben.
Alter Wein in neuen Schläuchen
Die medienpädagogische Praxis und die aktive Medienarbeit müssen sich durch neue Anwendungen nicht neu erfinden, da viele “klassischen” medienpädagogischen Formate und Vorgehensweisen auf entsprechende Apps adaptierbar sind. Es lässt sich sogar die Behauptung aufstellen, dass durch die Vebreitung mobiler Medien und dazugehöriger Apps die Anzahl von jugendlichen Medienproduktionen zugenommen hat.
Beispiel Videoarbeit: Eine der beliebtesten Medien-Plattformen unter Jugendlichen ist derzeit das Videoportal “YouTube”. Die Nutzungsmotive von YouTube sind vielfältig, neben Musikvideos, Comedy-Clips und Filmausschnitten finden sich dort auch zahlreiche “selfmade clips”, also Videoaufzeichnungen von Leuten wie du und ich, die teils semi-professionell, teils amateurhaft aufgenommen sind. Gerade diese Laien-Filme sind es, die den Jugendlichen das Gefühl geben: “Das kann ich auch!” Zu den erfolgreichsten YouTube-Stars aus Deutschland zählen heute beispielsweise Comedians wie Y-Titty, Lets-Play-Gamer wie Gronkh oder Kommentatoren des Weltgeschehens wie LeFloid. Sie alle können heute von der Werbung in ihren Clips leben, haben ihre Karriere aber mit selbstgedrehten Clips aus ihren Jugendzimmern begonnen – und das inspiriert viele Jugendliche dazu, es selbst zu versuchen. Viele schnappen sich also ihre Smartphones und beginnen, mit Video-Apps eigene Clips zu drehen, zu schneiden und nachzubearbeiten, um dann die Ergebnisse mithilfe der YouTube- oder Vimeo-App online zu stellen. Andere Video-Apps sehen spezielle Einstellungsmöglichkeiten vor, um z.B. Stop-Motion-Filme oder Trickfilmanimationen zu produzieren. Die Möglichkeiten, die derartige Anwendungen eröffnen, sind erfreulich vielfältig – und Filmproduktionen, die noch vor 20 Jahren in mühevoller Kleinarbeit mithilfe zweier VHS-Recorder und eines Schnittpults erstellt werden mussten, lassen sich heute mithilfe entsprechender Apps relativ einfach und unkompliziert kreieren.
Ähnlich verhält es sich mit der Fotografie oder der Audio-Arbeit: Egal, ob man eigene Webradio-Stationen (oder eigene Podcasts) mit Inhalten füllen möchte, oder ob man anstatt eines Schnappschusses ein ästhetisch ansprechendes Foto gestalten möchte, in den App-Stores findet man auch hierzu ein umfangreiches Angebot, das passende Lösungen für zahlreiche Anforderungen liefert.
Was wird nun aber aus der Medienpädagogik, möchte man fragen, wenn die Jugendlichen heute nur mit Hilfe entsprechender Apps eigene Produktionen erstellen und veröffentlichen, wenn also Krethi und Plethi dank YouTube-Buttons zu Filmstars werden können? Die Antwort ist simpel: Zwar lassen sich mit den Apps zahlreiche technische Funktionen downloaden, doch das dazugehörige Anwendungswissen für die gelingende Umsetzung eines kreativen Einfalls (also der inhaltliche Aufbau, das gestalterische Know-How, die handwerklichen Grundlagen und die Befähigung zum Selbstausdruck), das sind Skills, die keine App vermitteln kann, sondern die in Workshops, Seminaren oder Ferienangeboten weitergegeben werden. Die Aufgabe an die Medienpädagogik lautet somit, die gesammelten Erfahrungen und erprobten Szenarien auf neue mediale Angebote zu übertragen und zeitgemäße Umsetzungsmöglichkeiten für Kinder und Jugendliche anzubieten. Nie war das technische Ensemble größer, vielfältiger und leistungsstärker, das Heranwachsende ihr eigen nannten. Während noch vor wenigen Jahren kistenweise Technik angekarrt werden musste, um Medienprojekte mit großen Gruppen zu realisieren, tragen die Kinder und Jugendlichen heute omnipotente Minicomputer – inklusive ganzer Softwareregale in Form von Apps – in ihren Hosentaschen herum. Diese Chance gilt es, zu ergreifen, um neue Potentiale für kreative Medienproduktion zu nutzen, Talente zu fördern und Jugendliche zur gesellschaftlichen Teilhabe zu ermutigen.
Neue Anwendungsmöglichkeiten
Es gilt – wohl wissend, dass unsere erworbenen Kompetenzen der letzten Jahre bis Jahrzehnte auch in der Welt der Apps Anwendung finden – uns von den zahlreichen neuen Möglichkeiten inspirieren zu lassen.
Dank GPS Outdoor-Aktivitäten mit digitalen Technologien verknüpfen
Durch den Zugriff auf ein umfassendes, integriertes Ökosystem an Technologien, von Foto- und Videokamera über Sensoren, Kompass bis hin zu GPS, können Apps Dinge leisten, die in anderen Systemen nicht möglich war. So entstanden ganz neue Spielformen wie das ortsbezogene Spielen – von Geocaching bis zu Ingress ist der Markt vielfältig. Augmented Reality – die erweiterte Realität – greift gleich auf alle Technologien zu und ist damit eine der herausforderndsten Apps auf den Geräten – per Kamera wird ein Live-Videobild angezeigt, mit GPS der Ort bestimmt, die Neigungssensoren berechnen den Haltewinkel des Smartphones oder Tablets und der Kompass berechnet die Blickrichtung. Erst mit all diesen Informationen kann die App bestimmen, welches zusätzliche Bild – die erweiterte Realiät – über das Live-Bild der Videokamera gelegt werden kann. Durch augmented reality ergeben sich fantastische (Selbst-)Bildungsmöglichkeiten, wie z.B. Wikitude aufzeigt. Egal ob ich vor einem unbekannten Gebäude, einer historischen Ruine oder einem zeitgenössischen Museum stehe – Wikitude blendet mir sofort die passenden Wikipedia-Inhalte ein und ich kann meinen Wissensdurst effizient stillen. Zumindest theoretisch, augmented reality ist noch nicht in der Breite angekommen.
Neue Bedienkonzepte unterstützen Lauttraining bis Zeichenfertigkeiten
Insbesondere im Medienkunstbereich gibt es sehr spannende Ansätze, die auch für die ausserschulische Bildung relevant sind. Die App „konsonant“ z.B. zeigt auf, wie Sprach- bzw. Lauttraining, ästhetischer Ausdruck und neue Bedienkonzepte kombiniert werden können. So kann spielerisch mit Sprache umgegangen werden, die App wäre grundsätzlich auch am Rechner denkbar, doch erst die unmittelbare Touch-Steuerung und die intuitive, haptische Bedienung wird „konsonant“ und andere Vertreter zu einem geschlossenen Erlebnis.
Was dem Grafitti-Sprayer das sketchbook ist, ist Lume für den Lightpainter. Die interaktive App „zeichnet Licht“ im Stile von Lightpainting, also Photos, die durch Langzeitbelichtung bei Nacht und verschiedenen Lichtquellen wie Taschenlampen entstehen. Als ästhetische Form und künstlerischem Ausdruck lässt sich Lightpainting sehr gut in der ausserschulischen Bildung einsetzen, ist aber durch die Rahmenbedingungen, insbesondere der notwendigen Dunkelheit, stark begrenzt. Diese Lücke schließen in Ansätzen Apps wie Lume.
Photografie hat überhaupt erst durch Apps wieder eine Renaissance erlebt – dank der weit verbreiteten App instagram beschäftigen sich viele Menschen wieder intensiver mit der Erstellung, Bearbeitung und Verbreitung von Fotos. Natürlich alles – apptypisch – „in einem Guss“.
Haptik, Basteln und Apps schließen sich auch im frühkindlichen Bereich nicht aus
Im frühkindlichen Bereich lassen sich hervorragend Apps einsetzen – dank wachsender Bedeutung von Tablets in der Familie sind auch die Jüngsten schon den Umgang mit Apps und Touchbedienung gewohnt – viel mehr noch, Bildschirme ohne Touchbedienung sind offenbar kaputt. Hier gibt es sehr schöne Ansätze – von der spielerischen „Meine erste App“, die beim Deutschen Computerspiel als besonders pädagogisch wertvoll ausgezeichnet wurde, bis hin zu Foldify, einer App, mit der sich einfach Figuren gestalten, drucken und basteln lassen. So lassen sich wunderbar technologische und haptische Zugänge miteinander verbinden.
On- oder Offline, eigene Technik oder BYOD?
Apps entfalten ihr Potential häufig erst, wenn sie Online-Zugang haben. Deswegen ist es für den Bildungseinsatz zentral, das wir hier die richtigen Rahmenbedingungen schaffen. Wo den Jugendzentren die Jugendlichen wegblieben, weil andere kommerzielle Anbieter und Fast-Food-Ketten früh erkannt haben, das W-LAN von Jugendlichen erwartet wird, um länger zu verweilen, dürfen wir in medienpädagogischen Institutionen nicht den selben Fehler machen, und Online-Zugang für unsere Zielgruppen als optional oder gar unwichtig zu betrachten. Zwar verbreiten sich Daten-“Flatrates“ immer mehr, dennoch sind diese so stark begrenzt, das häufig schon relativ früh im Monat nur noch sehr langsames Internet und damit kaum medienpädagogische Projektarbeit möglich ist. Was uns zur nächsten Frage bringt: Wenn bald alle Jugendlichen mit Smartphones ausgestattet sind, brauchen wir dann noch eigene Geräte anschaffen? BYOD, bring your own device, rückt in greifbare Nähe und hat einen großen Reiz: Die TeilnehmerInnen arbeiten auf eigenen Geräten und können somit auch im Anschluss des Angebots einfach weitermachen. Der Vorteil eigener Geräte ist die Zeit, die es braucht, alle Apps zu installieren, die Verfügbarkeit und Verlässlichkeit – nicht alle Apps sind auf allen Geräten und z.B. auf älteren Geräten verfügbar – und die Kosten bei kostenpflichtigen Apps.
Konsequenzen für die medienpädagogische Praxis
Über Apps kann man natürlich nicht sprechen, ohne auch über die verschiedenen Betriebssysteme zu sprechen, auch wenn wir dies bis hierhin weitestgehend vermieden haben. Denn zentral ist die Diskussion nicht, unsere Zielgruppen kommen mit verschiedenen Betriebssystemen bei uns an, damit müssen wir mit allen gängigen Systemen umgehen (können). Insofern ist es auch keine medienpädagogische Fragestellung, welches System wir selbst befürworten oder aus welchen Gründen auch immer ablehnen. Zentral ist die Unterstützung und Reflexion von Menschen mit Medien, die Wahl der Medien obliegt dabei nicht (mehr) den Begleitern.
Apps haben viele Vorteile, insbesondere die Vereinfachung der technologischen Seite und damit mehr Zeit für inhaltliche Fragestellungen in Workshops. Doch liegt in der Vereinfachung auch eine Gefahr: Durch die starke Formatierung und den vorgegeben Bedien-Pfaden wird auch die Kreativität und der persönliche Ausdruck stark eingeschränkt. Am Beispiel der beliebten Trailer-Funktion der iMovie-App lässt sich dies leicht überprüfen. Die Trailer sind genial, da sie durch verschiedene Themes und starken Vorgaben zu schnellen, beeindruckenden Ergebnissen führen. Im Ergebnis – auch inhaltlich – lassen sich jedoch häufig sehr starke Parallelen verschiedener Produkte medienpädagogischer Workshops beobachten.
Mit Blick auf Datenschutz bieten Apps ebenfalls eine neue Herausforderung für die Medienpädagogik: Mehr denn je stellen sie als Technologie eine Blackbox dar, deren Verhalten kaum überprüft oder durchschaut werden kann. Als hybride Technologien sind auch Zuständigkeiten unserer Behörden unklar, wodurch sich weiteres Missbrauchspotential durch die Anbieter auftut. So muss im Fokus unserer Arbeit weiter technologisch kompetenter Umgang der Bürger mit Apps bleiben.
All dieser Bedenken zum Trotz dürfen wir als MedienpädagogInnen nicht mit einem defizitzentrierten, sondern mit einem ressourcenorientierten Blick an die Arbeit mit Apps gehen: Wir müssen es auch als unsere Aufgabe verstehen, Jugendliche und auch Erwachsene über bedenkliche Entwicklungen und negative Begleiterscheinungen zu informieren, aber bedeutender sollte die Aufgabe sein, die Potentiale der neuen Angebote sinnstiftend und gewinnbringend zu nutzen. Apps werden tagtäglich von Millionen Menschen genutzt – diese Selbstverständlichkeit ist eine hervorragende Voraussetzung für die praktische Medienpädagogik, die es zu nutzen gilt.
Weiterführende Links
Datenbank “Gute Apps für Kinder: http://de.gute-apps-fuer-kinder.de/
DJI-Datenbank “Apps für Kinder”: http://www.datenbank-apps-für-kinder.de
Deutscher Computerspielpreis: http://www.deutscher-computerspielpreis.de
Pädi – Pädagogischer Interaktivpreis: http://www.pädi.de
Die sehr empfehlenswerte „merz – Medien und Erziehung – Zeitschrift für Medienpädagogik“ zu Apps können Sie hier bestellen.