Perspektivwechsel im Liegen

Screenshot aus "Hurra, die Schule brennt"

Screenshot aus "Hurra, die Schule brennt"

Und dabei hatte alles so harmlos angefangen: Als wir über das Video „Au Sol“ von Guillaume Reymond schrieben, das das Konzept des Videos im Liegen in den Raum bringt, sprachen wir noch von einer anderen Anwendung von Liegevideos „in 3D“. Das kann es auch sein. Aber im Grunde ist es viel mehr: Wenn mensch solche Videos produziert, dann verändert sich mit einem Schlag der Blick auf den Raum und die Umgebung. Daher handelt es sich meiner Meinung nach eine hervorragende Methode, um sich auf Kameraarbeit vorzubereiten und den eigenen Blick zu schärfen.

Auch diese Methode haben wir zusammen mit den VideopunX bei den video/film tagen 2009 ausprobiert und schreiben hier über unsere Erfahrungen und Tipps für die Umsetzung.

Das Ergebnis

Als Teilergebnis ist folgender Musikclip entstanden – mit selbst produziertem Soundtrack:

Der Beipackzettel

Diese Methode ist nicht ohne! Wer sich darauf einlässt und damit mit dem Raum spielt, kann schnell den Bezug zu Unten und Oben verlieren – das Ergebnis ist ein Gefühl, wie es in der Schwerelosigkeit vorkommen könnte, mit entsprechenden auch körperlichen Folgen: Zwei Menschen aus unserer Gruppe ist es wirklich schlecht geworden, darunter auch ich – und meinen Magen haben bisher weder die wildesten Achterbahnen noch ausgiebige Turbulenzen im Flugzeug beeindruckt.

Außerdem stellt sich zumindest anfänglich auch ein Gefühl von Verwirrung ein, vor allem, wenn mensch sich „theoretisch“ damit auseinandersetzt, also versucht, sich das Verdrehte vorzustellen. Wenn mensch praktisch an die Sache rangeht und einfach ausprobiert, verliert sich das jedoch wieder schnell.

Das sollte bewusst sein bevor es losgeht. Dann können einzelne Anwesende sich ohne Probleme auch einfach mal für einen Augenblick rausziehen.

Motivation, Ziele und grundsätzliche Überlegungen

Ähnlich wie bei den eigentlichen „Videos im Liegen“ liegt mensch hier auch ganz einfach vor der Kamera. Aber während der Boden bei herkömmlichen Liegevideos zu einer 2D-Zeichenfläche wird, wird hier der Raum verdreht; der Reiz der Videos entsteht durch die Veränderung/Verdrehung des Raumes und Zweckentfremdung von Gegenständen und Gebäudeelementen.

Der Haupteffekt ist also die intensive Auseinandersetzung mit der Umgebung und das Einlassen auf neue, außergewöhnliche Blickwinkel – ein wichtiges Element der Kameraarbeit. Auch ohne letztendliches Produkt ist dies ein Wert für sich und eine gelungene Vorübung für spätere Projekte.

Escher goes Medienpädagogik

Jedoch auch als eigenständiges Projekt begeistern Liegevideos im Raum. Sie versprühen einen punkig-künstlerischen Charme.

20091124liegevideospinde

Die entstehenden Filme können einfach faszinieren, weil sie unserem Gehirn ständig Rätsel aufgeben, sie sind aber auch schnell lustig: Die Bewegung am Boden ist witzig, horizontales Jonglieren ungewohnt.

20091124liegevideogitarre

Tipps zur Umsetzung

  • Banal, aber alles andere als trivial: Die Kamera muss um 90° gedreht werden. Ein entsprechendes Stativ ist super, ansonsten muss eine andere Lösung/ein anderer Unterbau her.
  • Der Boden ist die Wand, die Kamera sollte also ausreichend davon entfernt sein, um die Perspektive zu verbessern: Darauf achten, dass sie weit genug von allen Wänden Böden entfernt ist, das geht sonst im Trubel schnell vergessen.
  • Zum Eingewöhnen zunächst einfach spielerisch den „neuen Blickwinkel“ ausprobieren: Durchs Gebäude gehen, einzelne Aufnahmen machen, experimentieren.
  • Das funktioniert in kleinen Gruppen (3-4 Personen) gut, mit Konzept/Drehbuch können aber auch mehr Menschen mitarbeiten/schauspielern.
  • Bei den Aufnahmen dem/der späteren BetrachterIn Zeit lassen für die Verwirrung (das verdrehte Motiv lange genug zeigen), dann aber den Effekt durchaus auch durchbrechen („richtig“ durchs Bild laufen, aufstehen etc.).
  • Die Schwerkraft ist gnadenlos. Gerade in den ungewöhnlichen Lage fühlt mensch sich schnell wie am Boden festgewachsen. Üben, üben, üben!
  • Umgekehrt lässt sich alles, was ohne Schwerkraft leichter ist, ohne Probleme darstellen: Handstand, Hochspringen, …
  • Für Bewegung am Boden gilt das gleiche wie für herkömmliche Liegevideos: Rollbretter verwenden, Stopptrick oder ähnliches (hier das Liegevideo-HowTo).

Materialliste

  • ein Stativ mit kippbarem Stativkopf oder eine alternative Kamerastütze
  • Rollbretter o.ä. für Bewegung am Boden
  • evtl. Verkleidung und andere Ausstattungsgegenstände

Insgesamt

eine schöne Methode, die nach anfänglichem Unwohlsein und Ratlosigkeit schnell eine eigene Dynamik entwickelt. Die TeilnehmerInnen verdrehen dann immer gekonnter den Raum und wählen zunehmend Perspektiven, die begeistern.

Eike Rösch Kurzbio
ist Dozent für Medienbildung an der Pädagogischen Hochschule Zürich und war zuvor mehrere Jahre als Medienpädagoge in der Jugendarbeit tätig. Er arbeitet an seiner Promotion an der Universität Leipzig zu Jugendarbeit in der digitalen Gesellschaft und hatte und hat Lehraufträge verschiedener Hochschulen.

Zusatzinfos

Pat-O-Meter

Monats-Archiv