Snapchat #1: kennen lernen

CC-BY-SA AdamPrzezdziek

Snapchat ist der neue Hype im social web. Der Dienst hat so schnell und massiv in jüngster Zeit insbesondere die Herzen der jungen Nutzer erobert, das sich gerade zahlreiche Berufs- und gesellschaftlichen Gruppen fragen, was sie verpassen, wenn sie nicht schnell auf den Zug aufspringen. Dieser Frage müssen sich insbesondere auch MedienpädagogInnen stellen, sind doch gerade die klassischen Zielgruppen medienpädagogischer Angebote – Kinder und Jugendliche – dort besonders häufig vertreten.
Snapchat zeigt jedoch vielen Nutzern erstmal die Grenzen auf – scheinbar. Eine häufige Reaktion ist Unverständnis ob der Bedienung und der Grundmechanismen von Snapchat.
Die App ist anfangs zugegebenermaßen schwer zu durchdringen, da sie alles andere als intuitiv gestaltet ist. Der (eigentlich experimentierfreudige) Journalist Richard Gutjahr brachte es auf den Punkt: “Wenn Sie glauben, schon alles gesehen zu haben, werden Sie an Snapchat verzweifeln.” Um die Philosophie und die Konstruktion dieses Dienstes zu durchschauen, möchten wir uns gemeinsam mit allen Interessierten auf die Reise machen.
Wir starten heute eine vierteilige Artikelserie im Medienpädagogik Praxisblog, um Licht ins Dunkel zu bringen – denn wie stets gilt: neue Dienste lassen sich nur durch eigene Nutzung gänzlich durchdringen und beurteilen.

Im ersten Teil möchten sich die beiden Autoren Björn Friedrich und Daniel Seitz auf erste Schritte in Snapchat konzentrieren: grundlegende Funktionen und ein Einstieg in Snapchat. Im zweiten Teil geht es darum, sich in Snapchat zu vernetzen, wichtige Influencer und spannende Snapchatter kennenzulernen und diesen zu folgen. Weiter geht es im dritten Teil bei “Snapchat produzieren” um die eigene produktive Nutzung – eigene Snaps erstellen und Geschichten erzählen. Und im letzten Teil möchten wir mit allen, die am Experiment teilnehmen, Snapchat reflektieren. Welche eigenen Erfahrungen wurden gemacht, wo liegen Potentiale für die Medienpädagogik und die aktive Medienarbeit?
Wir freuen uns, wenn Sie aktiv in den nächsten 4 Wochen an diesem Experiment teilnehmen, sich mit uns auf diesen neuen Dienst einlassen und vor allem ihre Gedanken, Erfahrungen und Erkenntnisse mit der Community teilen.

Snapchat kennen lernen

Snapchat ist ein in 2011 gegründeter Dienst in Form einer App, dessen vielfältige Funktion und Nutzung nur grob mit „video messaging“ umschrieben werden kann, umfasst es doch Foto, Video, Text, Bildbearbeitung, journalistische Inhalte und ein Freundesnetzwerk. Snapchat wuchs so rasant, das Facebook 2x versucht hat, den Dienst zu kaufen – in 2013 lehnte Snapchat das Angebot über 3 Milliarden US-Dollar ab, inzwischen wird der Dienst mit über 19 Milliarden US-Dollar bewertet. Über 7 Milliarden Videos werden bei Snapchat jeden Tag angesehen – und verschwinden auch jeden Tag, denn je nach Art des Versands – persönlich oder per „Geschichte“ in den allgemeinen Feed – löschen sich die Inhalte nach wenigen Sekunden oder nach 24 Stunden, sie sind dann (vermeintlich) für immer verschwunden. Snapchat ist ein Dienst für den Moment, die App für das Hier und Jetzt – was kümmert mich mein Tweet von gestern oder die Facebook-Erinnerung von vor drei Jahren? Bei Snapchat ist weder eine öffentliche Diskussion möglich noch eine Verlinkung von aussen, ein geschlosseneres Modell könnte man sich kaum vorstellen. Im Deutschlandradio Kultur sagte Marcus Richter dazu: „das ist im Prinzip wie Radio und Fernsehen – ich produziere Inhalte, versende die und dann sind die weg – wie früher“. Die Vermutung der Kollegen dazu war, das dies einen Teil des Reizes ausmacht, eben weil heute viele junge Nutzer das gar nicht mehr kennen. Den Ruf der “Sexting-App”, der sicher zur anfänglichen Verbreitung beigetragen hat, hat Snapchat jedenfalls längst abgelegt.

Zum Einstieg zunächst einmal zwei gute Nachrichten für alle, die schon mal entnervt aufgegeben haben, die Bedienung von Snapchat zu verstehen: Auch Jugendliche müssen sich das ungewohnte User-Interface von Snapchat erstmal erschließen. Und einmal erschlossen, ist die Bedienung brilliant und lässt einen erahnen, was die von uns seit Jahren prognostizierte Medienkonvergenz bedeutet, wenn sie denn mal in einer einzelnen App konsequent umgesetzt ist.
Kelly Mrs. Vlog, eine der größeren YouTuberinnen in Deutschland hat ihren Einstieg in Snapchat dokumentiert – was mit medienpädagogischem Blick auf vielen Ebenen spannend ist:

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Beim explorativen vorgehen von Kelly – youtuber-style natürlich live dokumentiert – kann man sehen, das sich Snapchat nicht selbst erklärt, in der Nutzung aber Schritt für Schritt klarer wird, wie das Ganze funktioniert. Schön ist auch zu beobachten, wie Kelly nach und nach merkt, wie Snapchat sie wesentlich unmittelbarer mit ihren Fans verbindet. Auch hier wieder – durch die medienübergreifende Nutzung, persönliche Snapchats die an Kelly geschickt werden, die sie wieder in ihren Videos einbaut (>665k Videoaufrufe), verschwimmen die Dimensionen von privat und öffentlich noch mehr. Das Phänomen von Privatsphäre bei Snapchat werden wir uns noch näher ansehen (müssen).

Auch Richard Gutjahr hat sich ausführlich mit Snapchat beschäftigt – dieser Videomitschnitt erklärt umfassend den Einstieg in Snapchat aus Sicht des Journalisten.
Und es gibt ein erstes Buch von Phillip Steuer, ebenfalls ein Journalist, der sich intensiv mit Snapchat auseinander gesetzt hat – unter http://snapmeifyoucan.net kann es gegen Registrierung mit Mail-Adresse kostenlos (bzw. gegen freiwillige Spenden) herunter geladen werden. Phillip Steuer erklärt alle Schritte so präzise und ausführlich, das wir uns hier auf ein paar Basics beschränken:

Erste Schritte: Aufbau der App

Ist die App einmal installiert, begrüßt einen sofort die geöffnete Kamera – Medienproduktion steht hier im Vordergrund. Die App ist wie eine Fläche aufgebaut, links vom Kamera-Bildschirm findet sich die Liste der Freunde, nochmal weiter links die Chats mit den einzelnen Personen, je nachdem auf welcher Höhe der Namensliste man wischt. Oben das eigene Menü, Profil und Einstellungen, rechts sind die Geschichten, noch weiter rechts der Discover-Bereich. Im Kamera-Bereich gibt es zahlreiche Tools: Links oben der Blitz, in der Mitte das eigene Menü (dort nach unten streichen), rechts können Front-/und Rückkamera umgestellt werden. Unten Links der Button für Chat (wobei auch an jeder anderen Stelle vom linken Rand nach rechts gewischt werden kann, unten rechts das Menü für Geschichten (wobei auch an jeder anderen Stellen vom rechten Rand nach links gewischt werden kann).

Erstellen und Bearbeiten eines Snaps

In der Mitte des Home-Screens gibt es die Aufnahme-Taste: einmal drücken bedeutet Foto, lange drauf bleiben zeichnet Video in der Länge des gedrückt Haltens auf, maximal 10 Sekunden. Im Bearbeitungs-Bildschirm, der dann folgt, unterscheiden sich Kleinigkeiten: links unten kann die Länge der Anzeige beim Empfänger eingestellt werden, nachdem das Foto verschickt wurde, z.B. 3 Sekunden, bei Video kann hier Ton an oder ausgeschaltet werden. Oben im Menü gibt es von Links nach Rechts Emoticons, Textbearbeitung und Zeichenmodus inklusive Farbauswähler. Zu den Gestaltungsmöglichkeiten gibt es tausend „secret“ Tipps und Tricks im Netz, hier sei nochmal auf ein Video einer YouTuberin verwiesen, sicherlich ein Weg wie sich zahlreiche Jugendliche neue Funktionen bei Snapchat beibringen.
Ein Wischen in der Mitte des Screens bringt die verschiedensten Filter und Overlays zu Tage, so z.B. Farbfilter oder auch Geofilter (große Veranstaltungen bekommen per „Geofencing“, also der Erkennung der Location und einem spezifischen Gebiet zur Zeit des Events, z.B. den Oscars einen eigenen Overlay, der nur dann und dort verwendbar ist – diese Geofilter können inzwischen auch von jedem gekauft werden. Weiter gibt es Overlays wie die aktuelle Uhrzeit, die eigene, aktuelle Geschwindigkeit, Akkustand des Smartphones usw. Aus der Kombination dieser Gestaltungsmöglichkeiten, hat sich eine ganz eigene „Snapchat-Ästhetik“ entwickelt.
In der unteren Menü-Leiste gibt es den Ton An-/Ausschalter (Video) bzw. Countdown (Foto), den Download-Button auf das eigene Gerät (eine gute Möglichkeit, in Snapchat aufgezeichnete Inhalte auch ausserhalb von Snapchat zu verwenden), die Möglichkeit, direkt Inhalte in die eigenen Geschichten zu posten sowie der Versand an Freunde (oder nochmals eigene Geschichten).

Chat, Stories, Discover

In Snapchat muss zwischen drei grundsätzlichen Funktionen unterschieden werden: Der Bereich links unter Chat dient der persönlichen Kommunikation zwischen zwei Personen – Fotos und Videos, die hier an eine Person gesendet werden, verschwinden direkt nach Ansehen oder nach wenigen Sekunden, je nach Einstellung des Absenders. Rechts der Kamera finden sich die Geschichten. Indem Sie hier über den Suchschlitz oder im persönlichen Menü oben über „Freunde adden“ ihnen bekannte Personen ihrem Netzwerk hinzufügen, können Sie deren Stories (in der deutschen App Geschichten) folgen. Dazu haben die Ersteller ihre Geschichten für jeden oder nur für Freunde (Freunde bedeutet, beide haben sich gegenseitig als Freund hinzugefügt) frei gegeben. (Auch hier wird die Geschlossenheit von Snapchat wieder deutlich, denn nur wer den exakten Benutzernamen kennt (oder den Snapcode, dazu kommen wir im nächsten Artikel), kann die Person finden, es gibt kein Verzeichnis oder eine echte Suche.)
In Ihrer Timeline finden Sie dann alle Geschichten, die in den letzten 24 Stunden erstellt wurden – am Tortendiagramm und dem verblassten Bereich erkennen sie auch, wann die Inhalte verschwinden werden. Diese Geschichten können Sie (im Gegensatz zu den persönlichen Chats) auch mehrfach ansehen.
Zuletzt finden Sie ganz rechts den Bereich „Discover“ – das sind eigens für Snapchat produzierte Inhalte, meist größerer Medienhäuser wie Vice, CNN oder auch national geographic. Auch hier wird wieder das ungewohnte, aber durchaus durchdachte Bedienungskonzept deutlich. Im Discover-Bereich wird wieder die Fläche genutzt, nach oben wischen verfolgt ein Thema weiter, nach links wischen führt zum nächsten Thema.

Snapchat verstehen

In Snapchat verstecken sich noch zahlreiche clevere Ideen und Funktionen, und natürlich ist der Content an sich das Spannendste. Wir wünschen viel Vergnügen beim Einstieg und Entdecken und freuen uns in den Kommentaren auf Ergänzungen, Geschichten zum Einstieg und gerne schon mal auf Ihren Benutzernamen, wenn sie diesen öffentlich teilen möchten. Die Autoren sind bei Snapchat übrigens unter “bjoern_fr” und “sondala” zu finden. Zum nächsten Teil geht es hier.

Daniel Seitz Kurzbio
lebt in Berlin, hat Mediale Pfade gegründet und brennt für eine freie, politisierte Gesellschaft, die ihre Verantwortung wahrnimmt. Als Medienpädagoge ist er überzeugt, dass Medienbildung einen wichtigen gesellschaftlichen Anteil zu politischer Teilhabe, Selbstentfaltung und Kreativität leisten kann.
Björn Friedrich Kurzbio
Björn Friedrich arbeitet als Medienpädagoge im SIN - Studio im Netz, München, mit den Schwerpunkten Social Media, Games und Jugendpartizipation. Daneben ist er als Referent für Vorträge und Fortbildungen tätig. Mit Tobias Albers-Heinemann schrieb er mehrere Elternratgeber, zuletzt 2018 "Das Elternbuch zu WhatsApp, YouTube, Instagram & Co." (O'Reilly Verlag, Köln). Mit Michael Dietrich und Sebastian Ring veröffentlichte er 2020 den Sammelband "Medien bilden Werte. Digitalisierung als pädagogische Aufgabe" (kopaed, München).
Verfasst am 15.03.2016
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