Die JMStV-Novellierung aus Sicht der Medienpädagogik
Gestern haben die Länder überraschend angekündigt, eine Online-Konsultation zur Novellierung des Jugendmedienschutz-Staatsvertrags (JMStV) zu starten. Damit wird ein Prozess öffentlich wieder aufgenommen, der mit dem Scheitern der damaligen Neufassung Ende 2010 ins Stocken gekommen war. Für Kinder, Jugendliche und alle weiteren Zielgruppen im Netz, für Medienproduktionen online und damit für die Medienpädagogik ist die Regelung des Jugendmedienschutzes im Internet zentral, denn es geht um Fragen etwa wie Websites von Jugendlichen aus Medienprojekten veröffentlicht werden können, und etwa wie Eltern in der Medienerziehung unterstützt werden und wie nicht. Auch die Freiheit und Vielfalt von Information und Kommunikation sind hohe Güter, die durch den neuen JMStV massiv in Gefahr sind. Daher möchten wir in diesem Artikel die bisherige Entwicklung schildern, wichtige Informationen und Argumentationen zusammenfassen und mögliche Positionen und Handlungsoptionen für Medienpädagoginnen und Medienpädagogen skizzieren – das alles als eine erste Bestandsaufnahme. Wir freuen uns über Artikel, die das Thema aus verschiedenen Perspektiven beleuchten.
Was bisher geschah
Der JMStV, 2003 parallel zur Neufassung des Jugendschutzgesetzes (JuSchG) von den Ländern beschlossen und in Kraft getreten, sollte 2010 auf Beschluss der Länder novelliert werden. Dabei sollte unter anderem ein Labelling von Internetseiten beschlossen werden, womit Anbieter_innen von Websites verpflichtet gewesen wären, ihre Angebote selbst mit Alterskennzeichen zu versehen. Das erfuhr breite Kritik von verschiedensten Seiten (wieso genau, dazu gleich mehr) und schliesslich hat der Landtag von Nordrhein-Westfalen den Entwurf abgelehnt, womit die Novellierung gescheitert war.
Die aktuellen Pläne
Die Rundfunkkommission der Länder hat nun folgendes Verfahren beschlossen, um zu einer Novellierung zu kommen:
- Ab sofort und bis zum 19.5.2014 läuft eine Online-Konsultation auf einer eigenen Website, bei der alle Interessierten Vorschläge für die Überarbeitung einbringen können.
- Anschließend wird durch die Länder ein Eckpunktepapier erstellt, das am 12.6.2014 der Rundfunkkommission der Länder vorgelegt wird.
- Das Ergebnis ist dann Grundlage einer weiteren Online-Konsultation vom 16.6.2014 bis voraussichtlich 14.7.2014 (das Datum ist in der PM sowie auf der Beteiligungswebsite unklar gelassen!), in der Rückmeldungen zu dem konkreten Vorschlag gegeben werden können.
[Fun-Fact: Die Fußball-WM 2014 findet zeitgleich vom 12.6. bis 13.7.2014 statt. Ein Schelm, der/die Böses dabei denkt…] - Daraus wird schließlich der endgültige Vertragsentwurf erstellt, der von den Länderparlamenten im Dezember 2014 beschlossen werden kann.
Zunächst mal ist es sehr erfreulich, dass eine breite Beteiligung möglich ist. Wie bei allen Partizipationsprozessen muss allerdings genau geschaut werden, ob auch das drin ist was drauf steht. Zu fragen ist insbesondere
- wie es um die Qualität der Konsultationsplattform bestellt ist: Wie leicht ist es, sich einzubringen? Gibt die Website tatsächlich ein realistisches Meinungsbild wieder?
- inwiefern die eingereichten Anregungen und Meinungen wirklich in den späteren Prozess einfließen werden. Das kann im Vorfeld nur vermutet werden. Wenn allerdings eine zentrale Institution entscheidet, welche Anregungen wie übernommen werden, ist das sicher keine Paradelösung. Andererseits gibt die zweite Konsultationsrunde hier ein Korrektiv an die Hand.
- ob der Prozess groß genug gedacht ist – oder wird durch eine (bewusste) Engführung der Fragestellung nur scheinbar auf Partizipation aller gesetzt? Die Online-Konsultation ist sehr eng auf den bisherigen Vertrag und konkrete vorgeschlage Änderungen fokussiert. Andere Lösungen sind offenbar nicht vorgesehen. Eine offene Diskussion sieht anders aus.
Wo liegen Ansatzpunkte für die Medienpädagogik?
Die inhaltlichen Schwachstellen der letzten, gescheiterten Novellierung wurden hier im Blog ausführlich reflektiert von Jürgen Ertelt, die drei (hier, hier, hier) Teile sind heute nach wie vor gültig. Nun ist es an der Zeit, die thematische Diskussion wieder aufzugreifen. Dafür brauchen wir eine breite Diskussion – insbesondere durch die Medienpädagogik.
Erste Ansatzpunkte sind vor allem:
- Wie kann die Medienkompetenzförderung, insbesondere durch aktive Medienarbeit, weiter ausgebaut und in einem wirksamen Jugendmedienschutz zentral mitgedacht werden, um Kinder und Jugendliche zu unterstützen?
- Wie können Medienpädagog_innen das Verständnis, dass Internet und damit interaktive und kommunikative Räume grundsätzlich anders zu behandeln sind als zum Beispiel (privater) Rundfunk, weiter befördern?
- Wie können (auch technologische) Lösungen aussehen, die Eltern bei ihrer Erziehung unterstützen, statt alle zu bevormunden und durch unklare Regelungen massiv zu verunsichern?
- Wie schätzen Medienpädagog_innen die notwendige Unterstützung durch Jugend(medien)schutz entlang der Entwicklung von Kindern und Jugendlichen ein? Wie schätzen Kinder und Jugendliche diesen Bedarf selbst ein?
- Warum wird der Jugendmedienschutz für das Internet in einem Vertrag zwischen Ländern geregelt, wenn er in den meisten Bereichen durch ein Bundesgesetz festgelegt ist?
Im Novellierungsprozess gibt es einige Akteur_innen, die sich einbringen werden bzw. berücksichtigt werden sollten:
- Die Länder, zunächst vertreten durch die Landesregierungen/Staatskanzleien, die sozusagen die Vertragspartner_innen sind und einen Vorschlag ausarbeiten,
- die Länderparlamente, die die Regelungen beschließen und umsetzen müssen,
- die Landesmedienanstalten und die Kommission für Jugendmedienschutz als die Protagonisten der bestehenden Regelung,
- andere Jugendschutzinstitutionen wie die Selbstkontrollen (FSF, FSK, USK, FSM) sowie jugendschutz.net, das bei einer Landesmedienanstalt angesiedelt ist,
- die GMK als Fachverband für Medienpädagogik,
- das Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (BMFSFJ), zuständig für Jugend(medien)schutz in anderen Bereichen,
- große Inhalteanbieter, die ein Interesse an Labelling haben um ihre Inhalte möglichst breit vertreiben zu können,
- alle, die im Netz aktiv sind und dort publizieren – also quasi jede_r!
Den Blick weiten
In der gegenwärtigen Situation bieten sich für Medienpädagoginnen und Medienpädagogen verschiedene Flughöhen in der Betrachtung der Situation und damit auch unterschiedliche Strategien an:
Da ist zum einen der konkrete Prozess der JMStV-Novellierung, der eine Verbesserung der Regelungen innerhalb der gegebenen Strukturen verspricht. Sollte die Analyse des vorgeschlagenen Beteiligungsprozess wirkliche Partizipation realistisch erscheinen lassen, ist es sicher nicht falsch, sich hier einzubringen.
Gleichzeitig ist es angesagt, den Jugendmedienschutz im Internet bei dieser Gelegenheit auch ganz grundsätzlich zu betrachten und sich die Frage zu stellen, was denn die beste Lösung für Kinder und Jugendliche und die Medienpädagogik ist. Das Ergebnis der aktuellen Neuregelung dürfte nämlich für mindestens die nächsten 10 Jahre bestimmend sein. Und aus unserer Sicht gibt es aktuell eine einmalige Chance, den Jugendmedienschutz im Netz den Erfordernissen von Kindern und Jugendlichen und von Medienschaffenden anzupassen und gleichzeitig sachgerecht und vor allem demokratischer zu gestalten. Ein Staatsvertrag, der von Staatskanzleien ausgehandelt wird und Kontrollgremien, die durch Landesmedienanstalten besetzt werden, sind anachronistisch und es ist unverständlich, wieso nicht auch Telemedien Teil des Jugendschutzgesetzes sind und damit rechtliche Regelungen nicht direkt von einem Parlament verhandelt und beschlossen werden sollten. Daher kann auch eine Strategie und eine Forderung von Medienpädagoginnen und Medienpädagogen sein, das Internet aus dem JMStV zu streichen und eine ganz grundlegende Neuregelung auf Bundesebene anzustreben. In jedem Fall darf sich die Diskussion nicht nur in den abgesteckten Grenzen bewegen, die durch das Beteiligungsverfahren vorgegeben werden.
Weiterdiskutieren und aktiv werden
Wir stehen am Anfang eines spannenden Prozesses und es gibt viele Argumente, die ausgetauscht werden können – im Sinne der besten Lösung. Die inhaltliche Diskussion sollte weiterhin interdisziplinär stattfinden. Das Medienpädagogik Praxis-Blog kann eine Plattform sein, auf der diese ausgetauscht werden können und wir rufen alle (!) Interessierten auf, ihre Sichtweise in Artikeln zu artikulieren.
Ebenso kann in der Facebook-Gruppe «JMStV.revisited», bei netzpolitik.org und an vielen weiteren Orten weiterdiskutiert werden. Schon jetzt sind folgende weitere Stellungnahmen bzw. Artikel erschienen:
- ein Artikel bei netzpolitik.org
- eine Stellungnahme des Arbeitskreis gegen Internetsperren und Zensur (AK Zensur)
- eine kritische Stellungnahme des Deutschen Bundesjugendring (DBJR) als PDF
- zwei Blogartikel der Medienrechtler Thomas Stadler und Marc Liesching
- ein Artikel bei heise online
- Kritik der FSM
- «Internet nur für Erwachsene» – zeit.de
- «Das Internet ist kein zweiter Fernseher» – Blogbeitrag des AK Zensur
- Beitrag im Deutschlandradio Kultur
- Beitrag in der Sendung «Trackback» bei Radio Fritz
- «Nur Medienkompetenz ist wirksamer Jugendmedienschutz» – Bundesverband der Katholischen jungen Gemeinde (KjG) kritisiert deutlich
- «Umstrittener Neustart» – c’t-Magazin
- die Stellungnahme der Bitkom als PDF
- Stellungnahme des JFF – Institut für Medienpädagogik
Medienpädagog_innen sollten sich weiterhin als wichtige Partner_innen von Politik in die Diskussion einbringen und ihre Expertise in den Prozess einspeisen. Dabei ist es wichtig, die richtigen Koaltionspartner_innen zu suchen, um auch politisch wirksam zu werden.
Dies ist ein Artikel von Eike Rösch, Daniel Seitz und Lambert Zumbrägel.