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Thomas Krüger zur JMStV-Novellierung

Im Zusammenhang mit der anstehenden Novellierung des Jugendmedienschutz-Staatsvertrags (unsere Zusammenfassung hier) hat Swenja Wütscher in der «merz – medien und erziehung» Thomas Krüger befragt. Krüger ist Präsident der Bundeszentrale für politische Bildung und außerdem stellvertretender Vorsitzender der Kommission für Jugendmedienschutz (KJM). Mit freundlicher Genehmigung der merz-Redaktion dokumentieren wir das Interview hier.


merz Jugendmedienschutz ist ein Mittel für … ?
Krüger
 Jugendmedienschutz ist ein weites Feld, würde Fontane sagen. Ich argumentiere mal von den zu Schützenden her, also dass vor allem bei Kindern der Schutzgedanke im Vordergrund stehen muss, und bei Jugendlichen der Gedanke der Eigenverantwortung. Sprich, wir brauchen differenzierte Lösungen, die den Schutzbedürfnissen Rechnung tragen, die auf der anderen Seite aber auch begreifen, dass es nicht nur um Ordnungspolitik geht, sondern auch um Medienkompetenz. Die medienpädagogische Herausforderung, die Aufgabe, die es zu bewältigen gilt, ist die Stärkung der Eigenverantwortung der Jugendlichen.

merz Welche Wirkung entfaltet die – im Jahr 2010 gescheiterte, im März erneut gestartete – Novellierung des JMStV bei Ihnen?
Krüger Zunächst geht es natürlich darum, viele offene Fragen zu diskutieren, die mit der Medienkonvergenz aufgetreten sind, aber auch die Frage, wie es mit dem technischen Jugendmedienschutz weitergehen soll. Ich bin der Meinung, dass die Wirtschaft derzeit nicht in der Lage ist, eine vernünftige Weiterentwicklung der Jugendschutzprogramme alleine zu finanzieren und plädiere vehement für ein stärkeres Engagement der öffentlichen Hände von Bund und Ländern.

merz Brauchen medienkompetente Heranwachsende überhaupt noch einen Jugendmedienschutz?
Krüger Kinder brauchen in jedem Fall Vorkehrungen des Jugendmedienschutzes, bei Jugendlichen sieht das schon anders aus. Ich glaube, dass Jugendliche mit zunehmendem Alter selber für sich Verantwortung übernehmen müssen, weil Schutzvorkehrungen nur relative sein können. Deshalb muss der Jugendmedienschutz der Zukunft – also einer, der seinen Namen verdient – begreifen, dass es neben dem Standbein der technischen und ordnungspolitischen Vorkehrungen ein Spielbein der Unterstützung von Medienkompetenz-Projekten für Jugendliche braucht, die sie ermächtigen, eigenverantwortlich mit Medien umzugehen.

merz Was könnte oder sollte ‚die Medienpädagogik‘ selbst zur Verbesserung des Jugendmedienschutzes beitragen?
Krüger Medienpädagogik dient zunächst dazu, wozu Pädagogik überhaupt dienen soll, nämlich der Stärkung einer eigenverantwortlichen Persönlichkeit, die den Qualitätskriterien demokratischer, offener Gesellschaften Rechnung trägt. Insofern müssen medienpädagogische Projekte von Sozialverhalten bis hin zu technischen Kompetenzfragen und der Beurteilung und Bewertung von Medieninhalten ein großes Spektrum abdecken, letztendlich aber darauf hinauslaufen, dass die eigenverantwortliche Persönlichkeit im Mittelpunkt stehen sollte. Bisher wird hier viel zu viel klein-klein gefahren. Es gibt hervorragende dezentrale Initiativen, aber weder eine systematische Förderpolitik noch eine erkennbare Verzahnung mit den schulischen Curricula – vor allem für den Bereich der weiterführenden Schulen.

merz Welche Aspekte sollten damit einen Jugendmedienschutz-Staatsvertrag anführen?
Krüger Die Diskussion um einen JMStV muss berücksichtigen, dass es auch korrespondierende Lösungen für den medienpädagogischen bzw. für den Medienkompetenz-Bereich geben muss. Der JMStV muss Rahmenbedingungen dafür schaffen, dass tatsächlich übergeordnete Förderpolitik gestartet wird, die dadurch denkbar ist, dass man entsprechende Institutionen aktiviert, diese Aufgabe wahrzunehmen, oder – wie es immer als große Lösung vorgeschlagen wurde – eine Bund-Länder-Stiftung Medienpädagogik auf die Schiene setzt, die ihren Namen aber auch wirklich verdient. 

merz Wer sollte mit wem ein solches Konzept gestalten?
Krüger Ich finde, die Verantwortlichen in Bund und Ländern müssen genauso an den Start wie die Fachleute, die sich über Jahrzehnte um dieses Themenfeld verdient gemacht haben. Die Medienpädagogik hat einen sehr starken sozialwissenschaftlichen Background in die Waagschale zu werfen, der sehr hilfreich ist, was die Adoleszenz-Phase von Jugendlichen betrifft, und damit sozusagen die Projekte der Medienpädagogik und Medienkompetenz einpasst in die Persönlichkeitsentwicklung. Gleichzeitig kann man auch nicht vorbeigehen an der Expertise starker Anbieter von medienpädagogischen Projekten. Also es gibt im Feld eine Reihe von Experten, die angesprochen und einbezogen werden müssen. Es gibt aber vor allem auch die politisch Verantwortlichen in Bund und Ländern, die endlich begreifen müssen, dass der Jugendmedienschutz auf zwei Beinen zu stehen kommen muss, wenn es um Jugendliche geht: neben den technischen und ordnungspolitischen Vorkehrungen nämlich auch die Stärkung der Eigenverantwortung der Jugendlichen. Das A und O sind die Jugendlichen, die nicht nur Patienten sind, die erzogen oder pädagogisiert werden müssen, sondern wenn wir von Medienpädagogik- und Medienkompetenz-Projekten ausgehen, denken wir eine teilhabeorientierte Bildung – also die Einbeziehung der Jugendlichen selber – immer mit. Ohne Partizipation in diesen Projekten, ohne Mitbestimmung über die Lernszenarien und -settings wird keine Akzeptanz in diesem Bereich herzustellen sein.

merz Jugendmedienschutz darf nicht nur Regulierung heißen. Jugendliche sind gleichzeitig Regisseure und Darsteller ihrer Lebenswelt – und sollen das auch sein. Ihr Wunsch nach sozialer Zugehörigkeit verlangt dabei auch Webpräsenz: Welche Alternativen sollte es daher für Jugendliche neben sicheren Surfräumen und Filterlösungen geben?
Krüger Eine Lösung ist vielleicht, ins Kloster zu gehen, aber die gehört eher anderen Jahrhunderten an. Ich glaube, man muss berücksichtigen, dass Jugendliche heute neben der Einbeziehung in den formellen und non-formellen Bildungssektor auch Selbstlernende sind: Sie organisieren sich selbst, auch ihre Lernprozesse – in der pädagogischen Wissenschaft wird das informelle Bildung genannt –, sie vernetzen sich mit Gleichaltrigen, tauschen sich aus und werden quasi durch das Interagieren mit Gleichaltrigen Experten ihres Alltags – auch ihres Medienalltags. Das gilt es in entsprechenden Szenarien und Förderprogrammenzu berücksichtigen. Denn die Akzeptanz bei Jugendlichen wird nur herzustellen sein, wenn sie als eigenverantwortliche Persönlichkeiten von Anfang an mitgestaltend ins Spiel kommen und dieses Terrain mitbestimmen können.

Eike Rösch Kurzbio
ist Dozent für Medienbildung an der Pädagogischen Hochschule Zürich und war zuvor mehrere Jahre als Medienpädagoge in der Jugendarbeit tätig. Er arbeitet an seiner Promotion an der Universität Leipzig zu Jugendarbeit in der digitalen Gesellschaft und hatte und hat Lehraufträge verschiedener Hochschulen.
Verfasst am 02.09.2014
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Die JMStV-Novellierung aus Sicht der Medienpädagogik

Gestern haben die Länder überraschend angekündigt, eine Online-Konsultation zur Novellierung des Jugendmedienschutz-Staatsvertrags (JMStV) zu starten. Damit wird ein Prozess öffentlich wieder aufgenommen, der mit dem Scheitern der damaligen Neufassung Ende 2010 ins Stocken gekommen war. Für Kinder, Jugendliche und alle weiteren Zielgruppen im Netz, für Medienproduktionen online und damit für die Medienpädagogik ist die Regelung des Jugendmedienschutzes im Internet zentral, denn es geht um Fragen etwa wie Websites von Jugendlichen aus Medienprojekten veröffentlicht werden können, und etwa wie  Eltern in der Medienerziehung unterstützt werden und wie nicht. Auch die Freiheit und Vielfalt von Information und Kommunikation sind hohe Güter, die durch den neuen JMStV massiv in Gefahr sind.  Daher möchten wir in diesem Artikel die bisherige Entwicklung schildern, wichtige Informationen und Argumentationen zusammenfassen und mögliche Positionen und Handlungsoptionen für Medienpädagoginnen und Medienpädagogen skizzieren – das alles als eine erste Bestandsaufnahme. Wir freuen uns über Artikel, die das Thema aus verschiedenen Perspektiven beleuchten. Den ganzen Beitrag lesen

Eike Rösch Kurzbio
ist Dozent für Medienbildung an der Pädagogischen Hochschule Zürich und war zuvor mehrere Jahre als Medienpädagoge in der Jugendarbeit tätig. Er arbeitet an seiner Promotion an der Universität Leipzig zu Jugendarbeit in der digitalen Gesellschaft und hatte und hat Lehraufträge verschiedener Hochschulen.
Verfasst am 25.03.2014
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JMStV – eine Verschlechterung des Jugendschutzes?

Foto by http://pixelscheucher.de

Viele von Ihnen haben sicherlich in den letzten Monaten die Diskussion um die Novellierung des Jugendmedienschutzstaatsvertrages (JMStV) mitbekommen. Ich denke, kein anderes Thema wurde derart im Internet behandelt und in den Nachrichten vergessen. Da die Neufassung des JMStVs für viel Auffuhr, aber auch Mißverständnisse gesorgt hat, möchte ich in diesem Artikel eine Übersicht geben, was sich für Betreiber (nichtkommerzieller) Websites ab Januar ändert, aber auch, warum diese Änderungen alles andere als ausgereift sind und sogar eine Verschlechterung für den Jugendschutz im Internet darstellen.

Grob gesagt handelt es sich bei dem JMStV um ein Jugendschutzgesetz für den Rundfunk und Telemedien, welches von den einzelnen Bundesländern beschlossen wird und somit für Deutschland seine Gültigkeit hat. Bereits in der aktuellen Fassung heisst es:

„Sofern Anbieter Angebote, die geeignet sind, die Entwicklung von Kindern oder Jugendlichen zu einer eigenverantwortlichen und gemeinschaftsfähigen Persönlichkeit zu beeinträchtigen, verbreiten oder zugänglich machen, haben sie dafür Sorge zu tragen, dass Kinder oder Jugendliche der betroffenen Altersstufen sie üblicherweise nicht wahrnehmen.“

Anbieter solcher entwicklungsbeeinträchtigenden Inhalten mussten also im Klartext dafür sorgen, dass z.B. Filme, die ab 16 Jahren freigegeben sind, entweder nur zwischen 22.00 (bzw. 23.00 Uhr) und 06.00 Uhr abrufbar sind, oder aber der Zugang zu diesen Filmen durch ein technisches Mittel (z.B. Altersverifikationssystem) kontrolliert wird.

Mit dem neuen JMStV soll den Betreibern von Internetseiten eine dritte Alternative zur Verfügung stehen, nämlich eine Alterskennzeichnung der Inhalte. Mit Hilfe dieser Kennzeichnungen sollen dann Filterprogramme (die es noch gar nicht gibt) einen altergerechten Zugang ins Internet ermöglichen. Aber genau dieser zusätzliche Service sorgt jedoch für viel Auffuhr, da grundsätzlich durch den Seitenbetreiber (auch für bereits veröffentlichte Inhalte) geprüft werden muss, ob  eine Entwicklungsbeeinträchtigung vorliegt oder nicht. Das bei einer solchen Selbsteinschätzung elementare Fehler unterlaufen können, zeigte ein erster Praxistest des AK Zensur. Einzige Alternative zu einer Selbsteinschätzung ist eine kostenpflichtige Überprüfung der eigenen Inhalte oder ein nicht gerade günstiger Beitritt zur Freiwilligen Selbstkontrolle Multimedia (FSM).

Liegen dann für Jugendliche ab 16 Jahren entwicklungsbeeinträchtigende Inhalte vor, kann der Seitenbetreiber entscheiden, ob er ein technisches Hilfsmittel verwendet, Sendezeiten einführt oder eine Alterskennzeichnung vollzieht. Was wann wer genau machen muss, wird auch sehr gut in einem Schaubild vom Telemedicus visualisiert. Darüber hinaus gibt es auch eine gute Übersicht für Websites von Kinder- und Jugendeinrichtungen auf myjuleica.de.

Aber Moment? Was ist denn jetzt mit den Filmen ab 16? Genau, diese können dann, sofern sich der Betreiber für ein Label entschliesst und der Anwender keine Filtersoftware installiert hat, ohne Altersnachweis jederzeit von allen Menschen gesehen werden. Verwirrt? Gut, denn so geht es vielen, die sich mit dem neuen JMStV auseinandersetzen.

Tobias Albers-Heinemann Kurzbio
Hat 2006 mit Eike Rösch das Praxis-Blog gegründet und 10 Jahre lang als Herausgeber gearbeitet. Pressereferent und Medienpädagoge mit den Schwerpunkten: Eltern- und Lehrerbildung, Jugendbeteiligung, Erwachsenenbildung, digitale Kommunikation, Webvideo, Social Media und Öffentlichkeitsarbeit.
Verfasst am 15.12.2010
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