JMStV reloaded – Strategien für einen akzeptablen Jugendmedienschutz (Teil 2)

Der JMStV und die Medienpädagogik

"322/365: Montownia Theatre" von Magic Madzik auf flickr.com

Schnittchen in Sicht – Veranstaltungen zum JMStV

Derzeit ist der “alte” Jugendmedienschutz-Staatsvertrag in Kraft. Deshalb gelten auch Sendezeiten für Alter eingeschränkte TV-Inhalte oder Film-Trailer in den Mediatheken und auf Kino-Webseiten. Es gilt also weiterhin konstruktiv den JMStV in die Kritik zu nehmen und Alternativen zu diskutieren. Nach der gescheiterten Novellierung sind natürlich die mit dem JMStV verbundenen Lobby-Interessen oder Regulierungsansprüche nicht zwingend anders.

Leider ist zu beklagen, dass offenbar die Befürworter nichts ernsthaft von der bisher ausgeführten Kritik in ihren weiteren Diskussionen reflektiert aufnehmen oder thematisieren. Die KJM titelte ihre Veranstaltung am 28.1.11 als Fachgespräch zu Lösungsansätzen für Jugendschutzprogramme.  Eine andere Sicht war nicht erwünscht, allein Alvar Freude war als Alibi-Vertreter der „Netzaktivisten“ aufs Podium geladen um auf ihn den Frust über den gescheiterten JMStV-E zu projizieren. Parteipolitische Vertreter sind auch nicht auf den KJM-Podien erwünscht, obwohl gerade jetzt ein politischer Aushandlungsprozess um den Jugendschutz stattfinden müsste. Die magere Einbindung der Kritiker und der Politik lassen jetzt schon einen „JMStV reloaded“-Prozess für 2011 befürchten.

Netzpolitik.org fragt danach, wie’s weiter geht und listet die nächsten drei Veranstaltungen auf:

Es bleibt bei klassischen Podien-Veranstaltungen, ein Barcamp zum Jugendmedienschutz wartet auf einen initiativen Veranstalter.

Arge Argumente

Zur aufmerksamen und kritischen Begleitung der Veranstaltungen lohnt es, sich der bisher sichtbaren Argumentationslinien der JMStV-Protagonisten anzunehmen.Vieles kann man schon fast nicht mehr ertragen, einiges ist „gefickt eingeschädelt“:

  • Es wird voraussetzend impliziert, dass man als Kritiker gegen Jugendschutz sei (obwohl in jeder Kritik das wie und nicht das ob infrage gestellt wurde).
  • Es wird postuliert, dass etwas getan werden muss, man überhaupt was tun muss, es besser als nichts sei, besser restriktiver als gar nicht, dass man nicht nichts machen kann und dass das eine machen nicht das andere nicht lassen heißt. Hingegen zielt die Kritik darauf, die veränderten gesellschaftlichen Bedingungen für Jugendmedienschutz zu analysieren und mit Bedacht tragfähige Alternativen zu gestalten. Bis dahin sollte man besser nichts tun als Falsches tun.
  • Es wird alternativlos wiederholt, dass es keine Alternativen zu sog. „Jugendschutzprogrammen“ gibt. Dabei wird argumentationslos unterstrichen, dass „Jugendschutzprogramme“ keine Filterprogramme seien %/ . Vernachlässigt wird dabei der bisher fehlende Kriterienkatalog für eine Programm-Anerkennung durch die KJM, der vermutlich erst nach den Aspekten eines fertig gestellten Programms „transparent“ erstellt wird. Es muss an dieser Stelle festgestellt werden, dass das Gesetz nicht zwangsläufig Jugendschutzprogramme verlangt, sondern andere Maßnahmen zulässt. Hierzu gehören auch präventive Möglichkeiten, die engagierter erarbeitet werden müssen. Auch ist die oft wiederholte Ableitung der Notwendigkeit von „Jugendschutzprogrammen“ von der Verfassung (!) eine „blendende“ Grundgesetz-Interpretation.
  • Werden medienpädagogische Überlegungen zur Medienkompetenz-Stärkung von Kritikern eingebracht, hallt direkt der Ausruf „Medienpädagogik ist kein Jugendschutz“ (u.a. Weigand am 28.1.11) ohne auch nur einen Moment der Notwendigkeit der immanenten Einbindung pädagogischer Begleitung in Gebots- oder Verbotsprozessen Rechnung zu tragen.
  • Interessant und trickreich auch der Argumentationsstrang wie er von Friedemann Schindler geführt wird: Da das Internet sowieso schon an vielen Stellen gefiltert wird (z.B. durch Suchmaschinen) und wir uns selbstverständlich Spam- und Virenschutzprogrammen bedienen, sind „Jugendschutzprogramme“ eine  natürliche Option um mit dem Internet ™ zurecht zukommen. Die Präsentation seiner Argumente unterschlägt, dass Suchmaschinen vom Nutzer alternativ auszuwählen sind, Virenfilter nach willentlicher Installation und Einstellung allein schädlichen Code (keine Inhalte!) aufspüren, anzeigen und löschen, und Spam-Filter vom Nutzer definierte Belästigungen nach eigener Vorgabe und Aktivierung sondieren.
  • Einfältig kommt der Verweis auf die ausschließliche Anbieterkennzeichnung daher: „Wer soll´s besser wissen“. Erneut wird, abgesehen von der damit verbunden Zufälligkeit qualifizierter Einschätzungen, die erzieherische Verantwortung und die begleitete Selbsteinschätzung des jugendlichen Nutzers ignoriert.
  • Grandios ist das Bemühen von Verkehrsregeln-Metaphern in Zeiten von Stoppschild-Diskussionen. So wird zwar Verkehrserziehung – als Synonym für (freiwillige) Medienpädagogik – zugestanden, aber nicht als Bedingung zum Abbau von Verkehrszeichen (= Filterprogramme)  und -Regeln zugelassen. Also: Sperren statt Stärken. Das postulierte Ineinandergreifen von Medienerziehung und technischen Jugendschutz ist nach jetzigem JMStV-Diskussionstand noch weit entfernt von der geforderten Implementierung von Medienpädagogogik als Bestandteil von Jugendschutz

In einer Pressemitteilung der KJM  heißt es  „Chancen von Jugendschutzprogrammen nicht verspielen“. Mit den bisherigen, leicht zu entlarvenden Argumenten, haben die unerwünschten Kritiker mindestens ein Bonus-Spiel frei.

Studien studieren!

Gerne werden Studien zu Jugend und Medien zur Untermauerung von z.T. dürftiger Argumente herangezogen. Aktuell wird besonders die vom Bitkom veröffentlichte Studie „Jugend 2.0“ als Begründung für den Wunsch von mehr als ¼ der Jugendlichen nach „Jugendschutzprogrammen“ hervorgeholt. Es wird passend überinterpretiert. Die Erwartung an mehr Jugendschutz kann ebenso den Wunsch nach mehr elterlicher und pädagogischer Begleitung bedeuten, ein Verlangen nach Filterprogrammen ist darin monokausal nicht zu erkennen. Gleichwohl wird auch nicht das vermeintlich wissenschaftliche Setting der von Bitkom beauftragten Befragung hinterfragt. Die wissenschaftlichen Bedingungen der Untersuchung sind jedenfalls nicht aus deren Publikation zu erfahren.

Zurecht hat Benjamin Stöcker in einer Mail-Diskussion darauf verwiesen, dass man selber die Deutungshoheit bei gelieferten Daten einfordern muss. So ist es natürlich eine andere, treffendere Aussage, dass ¾ der befragten Jugendlichen nicht nach Jugendschutz rufen, und so weiter in ihrem selbst eingeschätzten kompetenten Umgang mit dem Netz gestärkt werden sollten um andere unsichere Peers zu unterstützen.

Eine kritische umgekehrte Betrachtung der Zahlenspiele empfiehlt sich ebenso bei der angekündigten KIM-Studie.

Weniger Unheil verkündende Studien wie die EU-KidsUntersuchung werden auffallend weniger zitiert. Versteckt wird die Akzeptanz-Studie des JFF, die Teil der JMStV-Evaluation war und in der Novellierungsdiskussion schlicht ausgeblendet wurde und wird.

Lizenz

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Jürgen ErteltDies ist ein Gastbeitrag von Jürgen Ertelt. Der Autor (*1957) ist Sozial- und Medienpädagoge, arbeitet als Koordinator bei jugendonline.eu. Dort ist er u.a. für das Netzwerk netzcheckers.net verantwortlich.
Als Webarchitekt und Autor entwirft er Community-Software für die pädagogische Arbeit. Zur Zeit arbeitet er an Angeboten im Bereich mobiles Lernen mit digitalen Medien.

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