Geschlechtsbezogene Medienarbeit

"geschlechtsbezogene Medienarbeit in der Medienpädagogik" Im Projekt Schön?! waren Mädchen- und Jungengruppen in Münchner Einrichtungen der offenen Jugendarbeit aufgefordert, sich mit dem Thema Schönheit und ihrem je individuellen und gemeinsamen Verständnis davon auseinanderzusetzen. Durch Aktive Medienarbeit entstanden Fotos, Audio- und Videoclips, die in einem Blog veröffentlicht wurden und die die Haltungen der Jungen und Mädchen zum Thema Schönheit reflektieren. Drei Elemente sind für alle Projekte gleichermaßen wichtig: (1) Die Reflexion über das Thema Schönheit und die Rolle von Medien dabei, (2) die Medienproduktion und (3) die Veröffentlichung.

Zunächst wird in geschlechtshomogenen Gruppen eine Auseinandersetzung mit dem Thema Schönheit initiiert, die über einen rein auf äußerliche Schönheit bezogenen Begriff hinaus führte und etwa Kompetenzen oder Charakterzüge mit einbezieht. Schönheitsideale haben Einfluss auf das Selbstkonzept von Menschen, ihre Selbstinszenierungen und die Interaktion mit anderen. Gerade die äußere Erscheinung (Aussehen, Figur, Kleidung) scheint für Jugendliche ausgesprochen wichtig und entscheidet häufig über Sympathie oder Antipathie und Anerkennung in der Gruppe. Schönheitsdarstellungen und Wertungen, die in den Medien vorgefunden werden, spielen hierbei oft eine wichtige Rolle. Nicht zuletzt stellt sich auch die Frage, welche Wertvorstellungen für die Medienproduktion von Jugendlichen und Selbstdarstellung in Communitys handlungsleitend sind.

Diese Aspekte des Themas werden zu Beginn des Projekts in großer Gruppe mit Jugendlichen abgesprochen und diskutiert, es werden Meinungen und Ansichten, aber auch Fragen oder Probleme gesammelt. Diese Auseinandersetzung mit dem Thema kann etwa in Gesprächsrunden in gemütlicher Atmosphäre stattfinden. Es können Männer- und Frauenbilder aus Filmen, der Werbung, Nachrichten, dem Sport oder historischen Gemälden, sowie aus unterschiedlichen Kulturkreisen und Zeiten ausgewählt und gezeigt oder von den Jugendlichen selbst gesucht werden, die verschiedene Inszenierungen von Männlichkeit und Weiblichkeit bzw. Frauen und Männern in unterschiedlichen sozialen Rollen darstellen. Gespräche über Schönheit finden aber auch fast automatisch noch während der späteren Produktion oder Veröffentlichung statt – nämlich immer dann, wenn es um Fragen der (Selbst-)Inszenierung, Bewertung von Personenabbildungen anderer oder dargestellte Rollen geht. Der Gesprächsbedarf ist gerade unter Jugendlichen groß, die in einer Phase der Identitätsarbeit auf die Selbstpräsentation und das Feedback von anderen angewiesen sind. Natürlich spielt dabei Äußerliches eine große Rolle (Aussehen, Hygiene, Mode). Das Gespräch sollte aber auch immer wieder von Äußerlichkeiten weggelenkt werden, hin zu Selbst- und Fremdeinschätzungen.

Die teilnehmenden Jungen und Mädchen arbeiten dann durch mediale Eigenproduktion individuelle, gesellschaftliche und historische Schönheitsbilder heraus. Angeregt durch Medienprodukte, Ausstellungen oder mit Hilfe eigener Recherchen etwa über historische Schönheitsideale entwickeln die Jugendlichen Gedanken und Ideen, die sie in Fotocollagen, kleinen Filmen mit Handy oder Kamera, Audioaufnahmen et cetera abbilden, kontrastieren, diskutieren. Durch die Aktive Medienarbeit können sie eigene, für sie bedeutsame Themen und Sichtweisen medial inszenieren und kommunizieren. Dadurch wurden zum einen Partizipationspotenziale eröffnet, zum anderen Spielräume für das Erleben der eigenen und anderer Personen in fremden Rollen geschaffen. Der Prozess der Medienproduktion impliziert immer auch Fragen nach geschlechtlichen Konnotationen: bei der Auswahl der Themen, der Medien, in den beteiligten Personen und ihrer Interaktion. In einem geeigneten pädagogischen Setting können diese für Reflexion und Diskussion in der Peer- Group fruchtbar gemacht werden.

Zielsetzung der Produkte, egal mit welchen Medien produziert wird, sollte immer sein, dass die Jungen und Mädchen die Ergebnisse ihrer Arbeit auch nutzen können, um sich, ihre Stärken und Sichtweisen zu präsentieren – etwa in der Social Community. Beispielsweise können sich Mädchen mit Frauen- und Schönheitsbildern in unterschiedlichen Epochen vom Barock bis zu den 1950er Jahren auseinandersetzen und selbst in historischen Kostümen posieren, sich gegenseitig fotografieren und Bilder am PC bearbeiten. Denkbar sind aber auch Handyclips über Lieblingsorte im Stadtquartier oder Persiflagen über die übertriebene Wertschätzung von Markenkleidung. Wichtig ist immer, dass die Jugendlichen sich vorher intensiv Gedanken über Schönheit gemacht haben und diese adäquat umsetzen können. Durch das Projekt soll für die Mädchen und Jungen auch ein Raum geschaffen werden, in dem sie über ihre Einstellungen und Erwartungen in offener Atmosphäre diskutieren können. In der Pubertät werden Jugendliche oft mit der Frage nach dem eigenen Äußeren und dessen Attraktivität konfrontiert. Sie finden aber selten Gelegenheiten für eine offene Diskussion mit Gleichaltrigen oder Erwachsenen darüber. Wenn möglich sollten die entstandenen Ergebnisse im Anschluss vor Eltern, Betreuenden oder in dem Rahmen, in dem sie entstanden sind (etwa im Jugendtreff, im Museum et cetera) präsentiert werden. Die Produkte können zudem in einem Projektblog veröffentlicht werden, der als gemeinsame Präsentationsfläche dient oder zur Ausschmückung des eigenen Communityprofils genutzt werden kann.


Zielgruppe

  • Jugendliche
  • Geschlechter

Eingesetzte Medien

  • Foto
  • Video
  • Audio
  • Web

Ziele

  • Reflexion
  • Exploration
  • Artikulation
  • Medienanalyse und -kritik

Varianten, Erweiterungen, Modulationen

Im Rahmen des generationenübergreifenden Projekts Generationen im Dialog, das das JFF in den Jahren 2010 und 2011 durchführte, fand ein Projekt zum Thema Schönheit im Münchner Museum Villa Stuck statt. Es trafen sich dort insgesamt neun Damen, sechs davon im Alter zwischen 60 und 70 Jahren und drei im Alter zwischen 15 und 18, um mittels Aktiver Medienarbeit unter dem Motto „Wir sind die Schönsten!“ eine Ausstellung zum Thema Schönheit zu entwerfen. Der Dialog zwischen den Generationen brachte dabei für beide Altersgruppen einen besonderen Mehrwert. Weitere Informationen zum Projekt sind unter www.generationenimdialog.de verfügbar.

Tipps & Tricks

Zielsetzung geschlechtsbezogener medienpädagogischer Arbeit ist es, Mädchen und Jungen vor dem Hintergrund individueller Ressourcen, Interessen und Lebensbezüge gezielt zu fördern und die Rolle von Medien für ein gelingendes Heranwachsen und gesellschaftliche Partizipation in pädagogische Prozesse zu integrieren. Geschlechtsbezogene Medienarbeit zielt auf die Stärkung des Selbstbewusstseins und damit auf die Identitätsbildung ab. Um dieses Ziel zu erreichen, müssen geschlechtsbezogene Angebote Geschlechterrollen und -verhältnisse sowohl auf individueller als auch gesellschaftlicher Ebene thematisieren und reflektieren sowie dazu beitragen, das Vermögen zu Selbstwahrnehmung und Selbstreflexion der Jungen und Mädchen zu stärken – mit Blick auf die Rolle von Geschlecht für die eigene Identität, bei der (medienvermittelten) Interaktion mit anderen und für die Rolle der Medien bei der Konstruktion von Geschlechterrollen.

Schwierigkeiten

Für die Offenheit der Diskussion war es in manchen Fällen durchaus zuträglich, dass die anleitenden Medienpädagoginnen und -pädagogen nach dem Projekt nicht regelmäßig in der Einrichtung zugegen waren. Dadurch konnten Fragen gestellt und diskutiert werden, denen man sich in dem gewohnten sozialen Gefüge nicht gewidmet hätte. Wichtig dabei ist aber, dass auch die in den Institutionen beschäftigten Pädagoginnen und Pädagogen die Fragestellungen und die Entwicklung der Jungen verstehen. Viele Inhalte der Diskussionen über Männlichkeitsbilder, Stereotype und die Rolle der Medien dabei fanden nicht explizit Ausdruck in den Medienprodukten, die dann entstanden sind. Über Themen zu diskutieren, die sonst Tabus sind, verlangt nach einem geschützten Raum. Die öffentliche Darstellung und Inszenierung seiner selbst bei der Medienarbeit steht prinzipiell auf einem anderen Papier. Diesen Prozessen Raum zu geben ist wichtig für geschlechtsbezogene Medienarbeit. Bei der anschließenden Produktion wurde entsprechend Wert auf authentische Inszenierungen gelegt.

Feedback

Die Teilnehmenden fanden das Projekt sehr spannend, vor allem weil in vielen Bereichen an ihren Fragen und Alltagsbedarfen angesetzt wurde, etwa professionelle Bilder für das eigene Communityprofil zu produzieren und Tricks in Sachen Bildgestaltung, Ausleuchtung und Bildbearbeitung zu bekommen. Die Arbeit mit noch nicht genutzten Medien (digitale Spiegelreflexkamera) oder die Chance, in historische Kostüme zu schlüpfen waren hier auch eine Besonderheit. Ebenso wichtig war aber, dass Raum für das Gespräch über eigene Stärken und Qualitäten gegeben war, Fragen zu Themen gestellt werden konnten, die sonst eher tabuisiert sind, und Selbst- und Fremdeinschätzungen geäußert wurden.


"Geschlechtsbezogene Medienarbeit in der Medienpädagogik"


Checkliste

  • Flexibler zeitlicher Rahmen, von einem Nachmittag bis zu einem Wochenende
  • Offene und vertrauensvolle Atmosphäre für sensible Themen der geschlechtsbezogenen Arbeit, geschlossene Räume, in die man sich zurückziehen kann, um intensiv und ungestört zu arbeiten oder ungezwungen auf einer gemütlichen Couch, bei Getränken und Keksen oder Chips gern eine Zeit lang redet und diskutiert
  • je nach Vorhaben unterschiedliche Aufnahmegeräte (Audiorecorder mit Mikrophonen, Kamera mit Tonangel und Mikro, Handys, Fotokameras mit Lichtequipment, Stative) und eine ausreichende Anzahl an Laptops mit Internetanschluss zur Weiterbearbeitung des Materials

Links & Material

Anfang, Günther (Hrsg.) (2005). Von Jungen, Mädchen und Medien. München: kopaed.

Ring, Sebastian (2009). Jungenarbeit. In: Schorb, Bernd/Anfang, Günther/Demmler, Kathrin (Hrsg.). Grundbegriffe Medienpädagogik Medienpraxis. München: kopaed, S. 139-141.

Ring, Sebastian/Kupser, Thomas: „Das Schöne löst sich auf?“ Schönheit im Dialog zwischen Jung und Alt. In: Hartung, Anja (Hg.) (2011). Lieben und Altern. Die Konstitution von Alter(n)swirklichkeiten im Film. München: kopaed, S. 239-248.

Sturzenhecker, Benedikt/Winter, Reinhard (2002). Praxis der Jungenarbeit. Modelle, Methoden und Erfahrungen aus pädagogischen Arbeitsfeldern. Weinheim: Juventa.


About

Sebastian Ring
JFF – Institut für Medienpädagogik
Sebastian.Ring@jff.de

Das JFF – Institut für Medienpädagogik in Forschung und Praxis wurde 1949 gegründet und befasst sich seither in Forschung und pädagogischer Praxis mit dem Medienumgang der heranwachsenden Generation. Ein Spezifikum des JFF ist die Verknüpfung von Forschung und Praxis: Die Ergebnisse der Forschung sind Grundlage für pädagogische Modelle in der Erziehungs-, Bildungs- und Kulturarbeit mit Kindern und Jugendlichen. Aus der pädagogischen Praxis wiederum erhält der wissenschaftliche Bereich wichtige Impulse.

Sebastian Ring hat Philosophie (M.A.) und Sozialpädagogik (Dipl.) in München studiert und ist seit 2006 medienpädagogischer Referent am JFF. Sein Arbeitsschwerpunkt ist die Modellentwicklung im Bereich digitaler und interaktiver Medien, insbesondere Web 2.0 und Computerspiele.

Verfasst am 26.11.2012
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