Drehbucharbeit mit 60-Sekunden-Videos

Screenshot aus "Die Herr der Ringe-Trilogie in 60 Sekunden"

Screenshot aus "Die Herr der Ringe-Trilogie in 60 Sekunden"

Sie sind eine Steilvorlage für die Medienpädagogik und eine brilliante Methode, um sich mit Erzählstrukturen und Drehbüchern auseinander zu setzen: Die 60 Sekunden-Remakes von Filmklassikern in nur einem Take, wie beispielsweise „Forrest Gump„. Wir haben es gewagt und beim Workshop „Videopunk“ der video/film tage gemeinsam mit zehn MultiplikatorInnen zwei 60 Sekunden-Videos in einem Take gedreht.

Wir schreiben hier über unsere Erfahrungen und Erkenntnisse, geben praktische Tipps und Einschätzungen für die Umsetzung der Methode – und zeigen natürlich die Ergebnisse.

Die Ergebnisse

Eine Gruppe hat sich ganz unbescheiden vorgenommen, die „Herr der Ringe“-Trilogie auf 60 Sekunden einzudampfen. Das Ergebnis kann sich sehen lassen:

Die zweite Gruppe hat mit einer ausgefeilten Kameraführung „Das Experiment“ in einer Toilette nachverfilmt:

Motivation und Ziel

  • Die Methode fokussiert den Blick der MacherInnen auf Geschichten und ihre Struktur. Der Blick auf das Essentielle der Story wird wichtig, es entsteht ein Gefühl für Erzählstränge, -strukturen, Charaktere etc.
  • Auf dieser Basis können Erzählstrukturen generell thematisiert werden.
  • Die Methode kann ein Anlass sein, manche Geschichten überhaupt zu lesen/sehen (bspw. „alte Schinken“ wie Faust&Co. im Deutschunterricht).
  • EineR unserer Twitter-FollowerInnen meinte spontan, dass die Methode auch im DaF-Unterricht eingesetzt werden könnte.
  • Nach dem Eindampfen ist es interessant, anschließend die entstandenen Brühwürfel-Geschichten zu reflektieren: Wo sind einzelne Charaktere geblieben? Welche Elemente/Szenen/Erzählstränge des Originals sind unwichtig? Bei unserem Herr der Ringe-Projekt stellte sich zum Beispiel heraus, dass der zweite Teil der Trilogie für die Gesamtgeschichte wenig Relevanz hat.

Grundsätzliche Überlegungen bevor es los geht

  • Zum Eindampfen eignen sich vor allem lineare, auf eineN HauptdarstellerIn gepolte Geschichten, insbesondere also alle mit Roadmovie-Struktur.
  • Melodramatische/“schwere“ Geschichten sind schwierig umzusetzen (der „Pianist“ bspw. ist meiner Meinung nach zu ernst).
  • Trash rocks, (visual) perfection sucks: 60 Sekunden-Videos ziehen ihren Charme aus dem Trash-Look. Ein Sportplatz kann das Setting liefern, Pappkartons die Requisite. Improvisation ist angesagt, der Spaß und der Punkcharakter sind zentrale Motivationsfaktoren.
  • Trash bedeutet nicht, dass es keine Perfektion geben soll: Das 60 Sekunden-Konzept muss gut ausgearbeitet, der eigentliche Produktionsprozess sehr gut vorbereitet sein und die Ausstattung Liebe zum Detail zeigen.

Tipps zur Produktion

  • Die Ausstattung und die Requisiten sind zentral, sie stellen – gerade bei einer Turnhalle o.ä. als Drehort – den Bezug zum Original her.
  • Hilfreich sind auch Zitate, Gegenstände, Handlungen oder ähnliches, um den Wiedererkennungswert zu erhöhen.
  • Auf eine Tonaufnahme kann verzichtet, der Film nachvertont werden. Das erhöht den Trash-Faktor und erleichtert die Produktion immens, weil nach Belieben Kommandos gerufen werden können.
  • Das ist auch deswegen so sinnvoll, weil Aufnahmeleitung/Regie essentiell wichtig sind, insbesondere bei komplexen Projekten: Die DarstellerInnen, die Requisiten und die Kamera müssen in der Kürze der Zeit gut koordiniert werden.
  • Die Aufnahme des einen Takes kann auch länger als eine Minute dauern und dann upgespeedet werden. Das entspannt etwas bei den Dreharbeiten und erhöht den Unterhaltungswert bei dem/der ZuschauerIn. Länger als 1:30 sollte es aber auch so nicht dauern.
  • Die neue Audiospur macht (natürlich) einen wichtigen Teil des Ergebnisses aus und will daher gut überlegt sein: Soll es ein einfacher Dialog, Soundeffekte, einE Off-SprecherIn sein? Darüber hinaus kann (!) dem Produkt durch die Audiospur eine ganz neue Ebene hinzugefügt werden, wie in unserem Herr der Ringe-Beispiel durch den Sportkommentar.

Hier eine kurze Impression/ein kleines MakingOf von einem unserer ersten Drehs, was einen ganz guten Eindruck von der Komplexität vermittelt:

Einschätzungen zum Zeitplan

Für ein 60 Sekunden-Videoprojekt sollten mindestens 8-10 Zeitstunden eingeplant werden und das auch nur bei einem hochkompetenten und -motivierten TeilnehmerInnenkreis:

  • Die Konzeption/das eigentliche Eindampfen der Geschichte benötigt ca. 1-2 Stunden,
  • für die Ausstattung, Basteln, Schminken und Kostüme aussuchen sollten mindestens 2 Stunden vorgesehen werden,
  • gerne dürfen auch noch mindestens 1 Stunde für reine Produktions- und Ablaufplanung eingeplant werden, es gilt: je besser koordiniert wird, desto effektiver kann die Drehzeit genutzt werden,
  • für den eigentlichen Dreh auch mindestens 1-2 Stunden, da für die Koordinierung und Optimierung des Ablaufs gerade in einer großen Gruppe viel Zeit verbraucht wird (je mehr StatistInnen und je komplexer die Geschichte, desto mehr Aufnahmen; für unseren „Herr der Ringe“ haben wir 70 Minuten reine Aufnahmezeit benötigt).
  • Schnitt, Nachvertonung und -bearbeitung benötigen dann auch mindestens 2 Stunden.

Materialliste

  • Kostüme
  • sonstige Ausstattungsgegenstände
  • Pappe für Schilder, Bauten, Trashrequisiten
  • Abdeckfarbe und Pinsel um die Pappe zu gestalten
  • evtl. Stoffe (roter Stoff kann Blut symbolisieren)
  • ein Megaphon bei vielen DarstellerInnen

Fazit

Wir hatten viel Spaß, sind stolz auf die Ergebnisse und ich persönlich bin überzeugt, dass 60 Sekunden-Videos wirklich eine sinnvolle Methode in der Aktiven Videoarbeit mit Jugendlichen sein können. Was meinen Sie?

Dieser Artikel wurde zeitgleich auch auf der Website des Instituts für Medienpädagogik und Medientechnik beim Landesfilmdienst Rheinland-Pfalz veröffentlicht.

Eike Rösch Kurzbio
ist Dozent für Medienbildung an der Pädagogischen Hochschule Zürich und war zuvor mehrere Jahre als Medienpädagoge in der Jugendarbeit tätig. Er arbeitet an seiner Promotion an der Universität Leipzig zu Jugendarbeit in der digitalen Gesellschaft und hatte und hat Lehraufträge verschiedener Hochschulen.
Verfasst am 17.11.2009
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