Digitales und transmediales Erzählen – das Storytelling

Digital Storytelling in der MedienpädagogikStorytelling. Begegnet man diesem Begriff, hat man zumindest erst einmal das Gefühl, sich so einiges darunter vorstellen zu können, doch selbst nach eingehender Beschäftigung mit der Thematik bleibt die Definition mitunter schwammig. Zwei Dinge sind jedoch klar. Zum einen verbindet sich mit dem Begriff des Storytelling nicht nur eine Geschichte mit einem oder mehreren linearen Erzählsträngen, sondern häufig eine ganze Welt, die gemeinsam von mehreren Usern erschaffen wird. Und zum anderen ist es vor allem dieser Schaffensprozess, der das Storytelling kennzeichnet. Es birgt damit ein erhebliches Potential für die handlungsorientierte Medienpädagogik.

Die Produktion von Digital Stories verlangt selbstständiges Handeln und Lernen. Durch die Verknüpfung verschiedener Medien (Bild, Ton, Video, etc.), Vernetzung von unterschiedlichen Inhalten und die Kooperation mit anderen Verfassern und Produzenten wird nicht nur Medienkompetenz gefördert. Gerade auch die persönlichen digitalen Geschichten fördern den Spaß im Umgang mit den audiovisuellen Medien. Zudem ist diese Methode nicht nur für ein spezifisches Fach geeignet. In amerikanischen Schulen wird seit einigen Jahren fächerübergreifend Digital Storytelling angewendet, sei es zur Visualisierung von historischen Fakten oder zur Präsentation von Zusammenhängen. Dank freier Software und Web-2.0-Technologie gestaltet sich der Prozess immer einfacher und der Verbreitungsweg wird kürzer. Nie war es so einfach digitale Geschichten zu verfassen und mit anderen zu teilen.

Neue Arten des Erzählens

Geschichten dienen den Menschen schon seit geraumer Zeit zur Orientierung, bspw. zur Vermittlung moralischer Grundsätze oder als eine Art kollektives Gedächtnis. Nicht der Umstand, dass eine Geschichte erzählt wird, oder deren möglichen Inhalte verändern sich, sondern die Art des Erzählens. Auf die mündliche Überlieferung folgen schriftlich ausformulierte Geschichten, Literatur, und schließlich medial erzählte Geschichten als Filme im Kino, Hörspiele im Radio, Serien im Fernsehen oder bereits erste Erzählwelten in Computerspielen. Angelangt ist man darüber nun bei dem, was weithin als Digital oder Transmedia Storytelling bezeichnet wird. Hier gilt es zu differenzieren.

Beim Digital Storytelling geht es meist darum, eine Geschichte nach herkömmlichem Verständnis zu erzählen, also linear. Die Besonderheit besteht in der Verwendung verschiedener medialer Komponenten: Bilder, Töne, Video. Dabei weisen die digitalen Geschichten natürlich Unterschiede in Form, Anwendung und Produktion auf. So gibt es etwa persönliche Alltagsgeschichten, bei denen der gesprochene Text im Vordergrund steht, der um die multimedialen Elemente ergänzt wird. Workshops zum Erstellen solcher Geschichten werden häufig für Jugendliche und Erwachsene angeboten. Die Resultate sind durchaus sehenswert, z. B. hier, wo sich ebenso folgende Definition für die Digital Story finden lässt: „A short, first person video-narrative created by combining recorded voice, still and moving images, and music or other sounds.“

Digital Storytelling in der Praxis

Für Jugendliche und Kinder mögen die interaktiven Spielgeschichten besonders interessant sein, bei denen sich die Teilnehmer selbst zum Akteur der eigenen Fantasiegeschichten machen, indem ein Bilderbuch oder aber eine kollaborativ erzählte Geschichte entwickelt werden. Digitale Geschichten lassen sich bspw. mit folgenden Programmen erstellen: Animoto (ein Tool für kreative Videoslideshows, das bis zu einer Videolänge von 30 Sekunden kostenlos ist), muvee (ersterem sehr ähnlich, doch mit einem Klick ist das fertige Video sogleich auf facebook oder youtube) oder aber Storybird (besonders interessant für Multiplikatoren mit eigenem „Teachers-Account“, simpel in der Anwendung und grafisch sehr ansprechend.)

Gerade bei den Geschichten, die mit letztgenanntem Tool erstellt werden, tut sich allerdings wieder die Definitionsfrage auf. Schließlich erfährt die Geschichte selbst in Form eines gedruckten Büchleins, also bar jeder digitalen Dimension keinerlei Inhaltsverlust. Ähnlich verhält es sich bei dem spannenden „Cadavre Exquis“-Twitterprojekt von Tim Burton. Hier wurde mithilfe der Tweets verschiedener Twitternutzer eine Geschichte entsponnen. Dieser kleine Exkurs jedoch nur, um noch einmal zu unterstreichen, wie schwer mitunter die Abgrenzung fallen kann.

Transmedia Storytelling

Züge des digitalen wie auch transmedialen Erzählens tragen Computerspiele. Beim Transmedia Storytelling erschaffen viele Rezipienten/Autoren (Achtung, Personalunion möglich!) eine fiktionale Welt mit zahlreichen Charakteren und Erzählsträngen, die nicht linear sein müssen und von jedem einzelnen unterschiedlich wahrgenommen werden, weil er oder sie sich bspw. auf bestimmte Medien beschränken kann oder nur einen Teil der Welt oder einen bestimmten Charakter verfolgt. Nicht nur die Anzahl der Medien sondern auch die Anzahl der erzählerischen Mittel und Stränge inmitten des großen, portionierten Ganzen variiert.

Jedes Medium bietet unterschiedliche Möglichkeiten und, andersherum betrachtet, weist es verschiedene Grenzen auf. Man liegt nicht falsch, hält man sich auf diesem Gebiet an den Transmedia-Experten Henry Jenkins, der sich spätestens mit seinem Buch Convergence Culture einen Namen machte. Seine Definition des Begriffs: „Transmedia storytelling represents a process where integral elements of a fiction get dispersed systematically across multiple delivery channels for the purpose of creating a unified and coordinated entertainment experience.” Christian Henner-Fehr vom Kulturmanagement Blog konzentriert Jenkins Ausführungen in folgender Formel: Intertextualität + Multimodalität + Fähigkeit zum übergreifenden Verständnis = transmediales Erzählen.

Häufig ist das transmediale Erzählen in einem kommerziellen Zusammenhang zu finden, wie etwa diese (sehr gelungene) Werbekampagne von m&m®‘s beweist. Durch die große Breitenwirkung bei einer erfolgreichen Kampagne erweist sich das transmediale Erzählen eben als ein besonders wirksames Werbemittel. Im April des vergangenen Jahres veröffentlichte der oben zitierte Jenkins übrigens sieben Mythen über das Transmedia Storytelling. Der letzte Mythos lautet: „Transmedia is so 10 minutes ago.“ Ist es nicht, sagt Jenkins. Und sagen wir.

Dies ist ein Gastbeitrag von Marlene Nagel und Janet Torres Lupp. Marlene Nagel lebt und arbeitet als freie Übersetzerin in Leipzig. Janet Torres Lupp arbeitet als freie Medienpädagogin, ebenfalls in Leipzig, und ist u. a. für das Kinder- und Jugendfilmzentrum in Deutschland tätig. In ihrer Freizeit betreiben beide einen Weblog zum Thema „Neue Erzählformen in den mobilen Medien“: http://www.story-to-go.de/

Verfasst am 09.01.2012
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