60 Sekunden-Videos

"60 Sekunden Videos in der Medienpädagogik"Bei 60-Sekunden-Videos werden bekannte Kinofilme in einer Minute und einem Take nachverfilmt. Dazu muss die Gruppe zunächst die Geschichte vereinfachen und auf die wesentlichen Elemente reduzieren. Daher hat die Methode nicht nur einen immensen Spaßfaktor, sondern ist auch ein schöner Anlass, um sich mit Erzählstrukturen, Drehbüchern und dem Geschichtenerzählen auseinander zu setzen.

Die Vorbereitung läuft generell wie bei ‚normalen‘ Videoprojekten: Die Technik ist zusammenzustellen und zu prüfen. Darüber hinaus sollten die Durchführenden dafür sorgen, dass die Gruppe einen breiten Fundus an Bastel-/Ausstattungsmaterial zur Verfügung hat, um jeden Film zu meistern. Karton und Farbe sind die Allzweckmaterialien, mit denen fast alles im Trash-Style reproduziert werden kann. Auch die Projektdurchführung ähnelt im Grunde sehr einem allgemeinen Videoprojekt: Los geht es mit einer Planungsphase, dann wird gemeinsam gedreht, schließlich geschnitten, vertont und nachbearbeitet, bevor der Film seine Premiere feiern kann. Zentral – auch im Sinne der Zielsetzung – ist die Planungsphase. Zunächst muss der Film ausgewählt werden. Dabei ist grundsätzlich alles erlaubt, besonders geeignet sind jedoch lineare, auf eine Hauptdarstellerin bzw. einen -darsteller gepolte Geschichten, insbesondere also alle mit Roadmovie-Struktur. Wenig geeignet sind „schwere“ bzw. melodramatische Geschichten.

Anschließend geht es darum, die Geschichte auf ihre Grundstruktur, die wichtigsten Charaktere und die Schlüsselszenen zu reduzieren. Fans machen das aus dem Stand, wenn allerdings zwei Tage für das Projekt zur Verfügung stehen, macht es Sinn, den Film gemeinsam zu schauen und dabei auf wichtige Szenen, Einstellungen und den Wiedererkennungswert zu achten. Anschließend wird die eigene Umsetzung geplant. Dabei sollte parallel nach einem geeigneten Drehort gesucht und dazu der Dreh geplant werden. Ein weiterer Teil der Gruppe kann Kostüme und die nötige Ausstattung planen und basteln. Die Ausstattung und die Requisiten sind zentral, sie stellen – gerade bei einer Turnhalle als Drehort – den Bezug zum Original her. Hilfreich sind auch Zitate, Gegenstände, Handlungen oder ähnliches, um den Wiedererkennungswert zu erhöhen.

Der Dreh ist eine komplexe Gruppenaufgabe. Hier sollten ausnahmsweise feste Rollen zugewiesen werden: Es braucht eine Aufnahmeleitung (2 Personen) mit Persönlichkeit und Organisationstalent, ein Kamerateam sowie die Darstellerinnen und Darsteller. Anschließend sollte mehrmals der Ablauf durchgegangen und gemeinsam optimiert werden – anfangs ohne Zeitvorgabe, dann mit Blick auf die Uhr. Ist das Team bereit, wird gedreht. Es empfiehlt sich, den Take in 90 Sekunden aufzunehmen und später zu beschleunigen. Das macht die Aufnahme einfacher und erhöht den Spaßfaktor des Produkts. Auf eine Tonaufnahme kann verzichtet, der Film kann nachvertont werden. Das erhöht den Trash-Faktor und erleichtert die Produktion immens, weil nach Belieben Kommandos gerufen werden können.

Der Schnitt ist unaufwändig, weil nicht geschnitten werden darf. Es muss also nur die Geschwindigkeit angepasst, Titel und Abspann eingefügt werden. Dafür ist die Nachvertonung umso wichtiger. Die neue Audiospur macht einen wichtigen Teil des Ergebnisses aus und will daher gut überlegt sein: Soll es ein einfacher Dialog, Soundeffekte, eine Off-Sprecherin bzw. -Sprecher sein? Darüber hinaus kann (!) dem Produkt durch die Audiospur eine ganz neue Ebene hinzugefügt werden – in einem Projekt wurde etwa der Herr der Ringe mit einem Sportkommentator versehen.

Die Zeitstruktur auf einen Blick:

  • Die Konzeption/das eigentliche Eindampfen der Geschichte benötigt ca. ein bis zwei Stunden,
  • für Ausstattung, Basteln, Schminken, Kostüme aussuchen sollten mindestens zwei Stunden vorgesehen werden,
  • optional dürfen noch mindestens eine Stunde reine Produktions- und Ablaufplanung eingeplant werden, es gilt: je besser koordiniert wird, desto effektiver kann die Drehzeit genutzt werden,
  • der eigentliche Dreh benötigt eine bis zwei Stunden, da für die Koordinierung und Optimierung des Ablaufs – gerade in einer großen Gruppe – viel Zeit verbraucht wird (je mehr Statistinnen und Statisten und je komplexere Geschichte, desto mehr Aufnahmen),.
  • Schnitt, Nachvertonung und -bearbeitung benötigen circa zwei Stunden.

Zielgruppe

  • Jugendliche

Eingesetzte Medien

  • Video

Ziele

  • Medienanalyse und -kritik

"60 Sekunden Videos in der Medienpädagogik"


Varianten, Erweiterungen, Modulationen

In einem 60-Sekunden-Projekt können die Lieblingsfilme der Teilnehmenden bearbeitet und analysiert werden; das Projekt muss sich aber auch nicht nur auf Filme beschränken und kann auch ein Anlass sein, manche Geschichten überhaupt erst zu lesen bzw. zu sehen. So kann auch Goethes Faust im Deutschunterricht oder ein Kinoklassiker auf seinen Kern eingedampft und dann in einer Minute nachgedreht werden.

Tipps & Tricks

Die Methode fokussiert den Blick der Macherinnen und Macher auf Geschichten und ihre Struktur. Der Blick auf das Essentielle der Story wird wichtig, es entsteht ein Gefühl für Erzählstränge, -strukturen, Charaktere. Auf dieser Basis können Erzählstrukturen generell thematisiert werden. Nach dem Eindampfen ist es interessant, anschließend die entstandenen Brühwürfel-Geschichten zu reflektieren: Wo sind einzelne Charaktere geblieben? Welche Elemente/Szenen/Erzählstränge des Originals sind unwichtig? Beim Remake der Herr der Ringe-Trilogie in 60 Sekunden stellte sich zum Beispiel heraus, dass der zweite Teil der Trilogie für die Gesamtgeschichte wenig Relevanz hat.

Schwierigkeiten

Das Konzept lebt davon, locker und manchmal etwas respektlos mit dem Original umzugehen. Ein selbstbewusster Trash-Look gehört zu einem 60-Sekunden-Video. Trash bedeutet aber nicht, dass es keine Perfektion geben soll: Das Konzept muss gut ausgearbeitet, der Produktionsprozess sehr gut vorbereitet sein und die Ausstattung Liebe zum Detail zeigen. Gruppen neigen bei dieser Methode dazu, sich zu übernehmen: Wer gesehen hat, dass die zehn Stunden der Herr der Ringe-Trilogie in 60 Sekunden passen, hält es auch für möglich, die sieben Teile Harry Potter in 60 Sekunden zusammenzufassen. Die Durchführenden sollten für solche Dynamiken sensibel sein und auf die Problematik aufmerksam machen.
"60 Sekunden Videos in der Medienpädagogik"


Checkliste

Räume

  • Ein bis zwei Arbeitsräume
  • ein Drehort, der größere Abläufe in einem Take erlaubt (Turnhalle, Treppenhaus, Parkplatz, Schulhof, …)

Zeit

  • mindestens acht bis zehn Zeitstunden Gruppengröße
  • acht bis zwölf Teilnehmende bei zwei Durchführenden

Vorkenntnisse bei den Durchführenden

  • Planung und Durchführung von Videoprojekten
  • Videoproduktion
  • idealerweise sollten die potenziell zu bearbeitenden Filme gesehen und bekannt sein

Hard- und Software

  • Kamera, Stativ, Mikro, Schnittcomputer
  • einfache Videoschnittsoftware
  • Mikrofon oder mp3-Rekorder zur Nachvertonung

Sonstige Materialien

  • Kostüme
  • sonstige Ausstattungsgegenstände
  • Pappe für Schilder, Bauten, Requisiten
  • Abdeckfarbe und Pinsel für die Pappe
  • evtl. Stoffe (roter Stoff kann Blut symbolisieren)
  • ein Megaphon bei vielen Beteiligten

Links & Material

Bei YouTube finden sich einige Beispiele für 60 Sekunden/1 Take-Videos. Das ist eine sehr schöne Inspiration für Projektgruppen.


About

Eike Rösch
Institut für Medienpädagogik . Landesfilmdienst Rheinland-Pfalz e.V.
er@lokal-global.de
www.lokal-global.de

Landesfilmdienst Rheinland-Pfalz: Das Institut für Medienpädagogik im Landesfilmdienst Rheinland-Pfalz e.V. führt in ganz Rheinland-Pfalz Medienprojekte durch – gemeinsam mit Kooperationspartnerinnen und -partnern aus der Jugendarbeit – und unterstützt Fachkräfte aus Jugendarbeit und Schule durch ein breites Fortbildungsprogramm in ihrer medienpädagogischen Arbeit.

Eike Rösch: Dipl.-Päd., realisiert schwerpunktmäßig Audio- und Videoprojekte in der Jugendarbeit, aber auch Web-, Games- und mobile Projekte. Er bloggt im Medienpädagogik Praxis-Blog und engagiert sich im Vorstand der GMK – Gesellschaft für Medienpädagogik und Kommunikationskultur.

Eike Rösch Kurzbio
ist Dozent für Medienbildung an der Pädagogischen Hochschule Zürich und war zuvor mehrere Jahre als Medienpädagoge in der Jugendarbeit tätig. Er arbeitet an seiner Promotion an der Universität Leipzig zu Jugendarbeit in der digitalen Gesellschaft und hatte und hat Lehraufträge verschiedener Hochschulen.
Verfasst am 30.11.2012
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