Medienpädagogik in Babylon – Plädoyer für einen Baustopp

Medienpädagogik, Medienkompetenz, Medienbildung

"Torre de Babel" von Gustav's auf flickr.com (cc by-sa)

In den letzten Jahren konnte man eine medienpädagogische Kontroverse verfolgen: Sollte der Begriff Medienbildung Medienkompetenz oder sogar Medienpädagogik ablösen? Machst Du noch Medienkompetenz oder schon Medienbildung? Der Begriff „Medienbildung“ wirkte neu, innovativ, damit öffentlichkeitswirksamer für die Bildungspraxis. Für die Bildungspolitik bot sich durch den innovativen Begriff die Möglichkeit, von alten Baustellen abzurücken und Fortschritt zu vermelden. Der medienpädagogische Diskurs diskutierte angeregt.

Für mich steht aber die Frage im Forder-Grund, welche Verantwortung Theorie/Wissenschaft und Bildungspraxis in der Verwendung ihrer Begriffe und Bezeichnungen tragen. Insbesondere in der Medienpädagogik, die eine Fülle an Theorien und Begriffen bietet. Über Medienkompetenz, Medienerziehung, aktive Medienarbeit, rezeptive Medienarbeit, kritische Medienpädagogik…

Stein auf Stein – Das Türmchen wird bald fertig sein?

Die Vielfalt von Begriffen und deren verschiedenen Definitionen hält den wissenschaftlichen Diskurs lebendig. Kontroversen um medienpädagogische Begriffe sind daher keine Seltenheit; dies beginnt schon beim Begriff Medienpädagogik selbst. Nicht umsonst fragte die „merz – Zeitschrift für Medienpädagogik“ bereits zweimal 1976 und 2002 in einer Expertenrunde „Medienpädagogik – Was ist das?“.

In der Bildungspraxis hingegen fördert die Vielfalt an Theorien, Begriffen und Definitionen Unklarheit: Wie soll man das, was man tut, eigentlich nennen? Stimmen Projektinhalt und Theorieinhalt überein. Im wissenschaftlichen Diskurs besteht nach der Medienbildungs-Kontroverse (siehe Literaturtipps) Einigkeit nur darüber, dass der Begriff der Medienbildung weder Medienkompetenz und/oder Medienpädagogik ersetzen sollte. Fruchtbarere Ergebnisse wurden nicht erzielt. Daher ist es nicht verwunderlich, dass die Begriffe „sogar synonym benutzt“ (Schorb, B.: Zur Theorie der Medienpädagogik, S. 81) werden. Aber umso „erschreckender“, da es wissenschaftlicher Usus ist, Begriffe trennscharf zu verwenden. Schon alleine, wenn völlig unterschiedliche Inhalten hinter den Begriffen stehen und diese auch noch in eine pädagogische Praxis umgesetzt werden.

Mittlerweile findet man auch in der Bildungspraxis alle Begriffe in Projektbeschreibungen, Bildungsportalen usw. vor.

Pfusch auf der Baustelle

In der benannten Kontroverse fiel mir aber eine sehr viel schwerwiegendere Problematik auf. Diese zeigt sich in der Diskussion um die inhaltliche Entfaltung des Begriffs der „Medienkompetenz“: Bernd Schorb arbeitete Argumente von Vertretern der Medienbildung heraus; als Argument für die Ablösung der Medienkompetenz durch Medienbildung wurde angeführt, dass Medienpädagogik als Anwenderkompetenz definiert sei, im Gegensatz zur Medienbildung, die darüber weit hinausreiche. (Schorb, B.: Gebildet und kompetent, S. 50) Aber: In keiner medienpädagogischen Definition von Medienkompetenz wird der Begriff theoretisch so entfaltet, dass das Wissen um die Bedienung von Medien im Vordergrund steht, geschweige denn Medienkompetenz als Fähigkeit zur technischen Mediennutzung die Definition völlig ausschöpft.

Im Mittelpunkt der Kontroverse stand kaum die Konsolidierung von Medienpädagogik, sondern vielmehr, bestimmte Begriffe in den Vordergrund zu stellen und die öffentliche Aufmerksamkeit zu lenken. Dafür wurde sogar die verzerrte Darstellung von Inhalten in Kauf genommen, wie Schorb nachdrücklich aufzeigt. Dabei ist aber nahezu tragisch, dass ausgerechnet in einer pädagogischen Disziplin versucht wird, bestehende Begriffe interessengeleitet durch neuere zu ersetzen, anstelle theoretisch präzise und umfassend – und nicht umschreibend – zu überprüfen, inwiefern es neuer Begrifflichkeiten bedarf bzw. wo Forschungslücken bestehen.

Für die Bildungspraxis bedeutet eine Erweiterung des medienpädagogischen Begriffsinstrumentariums nämlich nur, dass es einen weiteren Begriff gibt. Aber gibt es auch inhaltliche, pädagogische Konsequenzen?

Das Bauvorhaben wird realisiert durch die Unterstützung von…

Perfiderweise wird dem neuen Begriff eine öffentliche Aufmerksamkeit zuteil, die die bisher verwendeten Begriffe und deren inhaltliche Entfaltungen zurückdrängt. Damit werden plötzlich (von Förderseite) auch bestehende, fundierte bildungspraktische Projekte in Frage gestellt. Warum erarbeitet ihr keine Medienbildung, wieso noch Medienkompetenz? Weil das Projekt erprobt und bewährt ist, benötigt es eigentlich keine inhaltlichen Veränderungen. Inhaltlich werden die Begriffe, Medienbildung und Medienkompetenz durch die Bildungspraxis damit kongruent gesetzt. Das Projekt wird lediglich nach dem neuen Begriff umbenannt, um seine Fördergelder zu behalten. Cristos Verpackungskünste für medienpädagogische Bauten. Die gravierenden Unterschiede in den zugrundeliegenden Theorien werden in diesem Fall von der Bildungspraxis nicht beachtet. Durch den nachlässigen Umgang mit Begriffen untermauert sie die Konturlosigkeit von Medienpädagogik.

Renovierung, Sanierung oder Neubau?

Die Auseinandersetzung mit Begriffen sollte nicht an der Eingangstür zur Hochschule enden. Begriffe aus dem theoretischen Diskurs von Medienpädagogik haben einen massiven Einfluss auf die administrativen Strukturen der medienpädagogischen Bildungspraxis. Spätestens in der Vergabe von Fördergeldern, Bildungspolitik, Stellenausschreibungen, Bibliothekskatalogen und Suchmaschinen werden Begriffe bedeutsam. Die Relevanz der unterschiedlichen Begriffsentfaltungen als inhaltliche Leitlinien oder pädagogische Standards für die Bildungspraxis gilt es ebenso zu berücksichtigen. Es ist ein theoretischer Unterschied, ob ich Medienkompetenz befördern möchte oder Medienbildung erarbeite. Gilt dieser Unterschied auch für die Bildungspraxis?

Dies bedeutet für die medienpädagogische Bildungspraxis, Begriffe verantwortungsvoll und so trennscharf, wie es die Theorie vorgibt, zu verwenden. Gleichzeitig muss sich in der medienpädagogischen Wissenschaft unbedingt darum bemüht werden, Klarheit und Transparenz in ihren Theorien zu schaffen, um der Bildungspraxis ein genuin medienpädagogisches Arbeiten zu ermöglichen.

Letztlich entspringt die medienpädagogisch-babylonische Sprachverwirrung nämlich auch einem nahezu grundlegendem Dilemma: Während z. B. bei Baacke die Grundannahme besteht, jegliches pädagogische Handeln mit Medien als Medienpädagogik zu bezeichnen (Baacke, D.: Medienpädagogik. Niemeyer Verlag. Tübingen1997, S. 4), steht dem entgegen: Es „ergibt für die Medienpädagogik kein Profil, wenn man sie definiert, wie man gerade will.“ (Schorb, B.: Medienpädagogik heute. In: merz. Nr. , S. 213-214.)

Es ist Aufgabe von Theorie und Bildungspraxis, Trennschärfe in ihren gemeinsamen Begriffen zu bewahren und Begriffsinnovationen auf ihre Notwendigkeit zu überprüfen. Nur so wird an transparenten Standards für Medienpädagogik gearbeitet und Medienpädagogik als begrifflich genuin konsolidiert. Theorie und Praxis sind als komplementär zu erleben und steuern gemeinsam das öffentliche Verständnis medienpädagogischer Begriffe, Handelns und damit auch der Berechtigung von Medienpädagogik.

Von einem Turm aus kann man nur bis zu einer gewissen Höhe den Überblick behalten. Daher sollten mit weiteren Steinen lieber Lücken gefüllt werden, sonst besteht Einsturzgefahr.

Literaturtipps

  • Schorb, Bernd: Gebildet und kompetent? – Medienbildung statt Medienkompetenz. In: merz – Zeitschrift für Medienpädagogik. Nr. 5. 2009, S. 50-56.
  • Schorb, Bernd: Zur Theorie der Medienpädagogik. In: Moser, Heinz; Grell, Petra; Niesyto, Horst: Medienpädagogik und Medienkompetenz – Beiträge zu Schlüsselbegriffen der Medienpädagogik. Kopaed Verlag. München 2011, S. 81-94.
  • Tulodziecki, Gerhard: Zur Entstehung und Entwicklung zentraler Begriffe bei der pädagogischen Auseinandersetzung mit Medien. In: Moser, Heinz; Grell, Petra; Niesyto, Horst: Medienpädagogik und Medienkompetenz – Beiträge zu Schlüsselbegriffen der Medienpädagogik. Kopaed Verlag. München 2011, S.11-39.

Theresa SchmidtDies ist ein Gastbeitrag von Theresa Schmidt, M.A. Theaterwissenschaft, Kommunikations- und Medienwissenschaft und Erziehungswissenschaft. Seit 2008 Lehrbeauftrage am Lehrstuhl für Medienpädagogik und Weiterbildung an der Universität Leipzig. Forscht seit 2009 im Dissertationsprojekt „Eine Analyse von theoretischen Bezügen in Definitionen von Medienpädagogik aus ideengeschichtlicher Perspektive“. Arbeitet seit 2011 als Kultur- und Medienpädagogin in der Frühpädagogik.

Verfasst am 21.05.2012
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