Das erste offene deutschsprachige Schulbuch ist online – und jetzt?

Ausschnitt aus dem Titel; CC BY-SA schulbuch-o-mat

Seit Sommer 2013 ist das erste offene deutschsprachige Schulbuch – für das Fach Biologie 7/8 an Berliner Gymnasien – online. Höchste Zeit, einmal darauf zu schauen, wie es damit weiterging.

Die Aufmerksamkeit der Presse war hoch, als die beiden Berliner Initiatoren Hans Hellfried Wedenig, Medienproduzent und Berater, und Heiko Przyhodnik, Biologie- und Sportlehrer, Anfang 2013 auf der Crowdfunding-Plattform Startnext um Unterstützung um eine Basisfinanzierung ihres Vorhabens baten. Tatsächlich ist das erste offene, das heißt liberal lizenzierte Schulbuch für das Fach Biologie in der Schulstufe 7/8 nun seit letzten Sommer zugänglich.

Bio-Schulbuch mit offenem Content

Das Biologiebuch ist für die Schulstufen 7/8 an Berliner Gymnasien entwickelt. Das Buch liegt als Webpage, als PDF und auch als iBook vor. Und vor einigen Tagen vermeldeten die Initiatoren stolz, dass des nun schon 20.000 Mal herunter geladen wurde. Zur Buchentstehung und dem Projekverlauf wurde eine ausführlicher Bericht erstellt, der insbesondere die Schwierigkeiten beschreibt, aktive Mitmacher/inenn zu finden. Dass das Werk auf Interesse stößt zeigen auch erste Rezensionen des Schulbuchs, beispielsweise in der aktuellen Ausgabe von „Computer + Unterricht“. Das Buch gibt zwar keine Maßstäbe vor, was neue interaktive Gestaltungsmöglichkeiten von Schulbüchern angeht: Es ähnelt in Form und Inhalt den bekannten gedruckten Büchern, mit einigen interaktiven Aufgaben als Zugabe. Und weiterhin werden kleinere Fehler bemäkelt. Aber es wurde auch kein interaktives Wunderwuzzi-Buch versprochen, sondern eben das erste offen zugängliche Buch.

… und nun?

Da stellt sich natürlich die Frage: Und jetzt? Was verändert sich? Was wurde bewirkt? Der Kern des Vorhabens war es eben, Material in Form eines Schulbuchs zu erstellen, das erstmals für ein komplettes Schuljahr ausreicht und das nahezu ohne Einschränkungen genutzt werden kann: Die Materialien können nach Herzenslust gedruckt, auch kopiert und verändert, sogar wiederveröffentlicht werden. Einer Nutzung der Inhalte für entsprechende (kostenfreie) Lernapps, interaktiver Übungen, zusätzlicher Materialien steht nichts entgegen. Das gilt nicht nur für Schüler/innen, sondern auch natürlich auch für Lehrer/innen, Eltern – alle, die etwas online nachlesen wollen oder auch Unterrichtsmaterial benötigen.

Tatsächlich eingesetzt wurde das Buch – soweit überhaupt Berichte dazu vorliegen – wohl bereits nur in Einzelfällen im Biologieunterricht als elektronische Version. Eine schnelle Adaption ist aber auch nicht zu erwarten: Für ein (nicht gedrucktes) offenes Schulbuch benötigen Schüler/innen eben auch entsprechende Lesegeräte (zum Beispiel eigene Smartphones). Und dann ist das Buch eben auch nur für Berlin entwickelt worden, die Lehrpläne unterscheiden sich teils deutlich (in Österreich schauen Schulbücher für das Gymnasium ganz anders aus, inhaltlich, sprachlich und von der Gestaltung her).

Und so sind 20.000 Downloads ein großer Erfolg. Sie zeigen, dass das Buch wohl für die Unterrichtsvorbereitung und Gestaltung einzelner Unterrichtsstunden eingesetzt wird. Sicher auch von einigen Schüler/innen zum Lernen oder Vorbereiten von Referaten. Und die Betreiber merken zu diesem Erfolg auf ihrer Homepage an: „Sag bloß, Schulwissen interessiert viel, viel mehr Menschen als gedacht, wenn es offen und frei ist?“ fragen wir uns nun; rein rhetorisch.“

OER heißt auch: Mitmachen von Schüler/innen ist möglich!

Das ist aber nicht der einzige Erfolg des Projekts: Gleichzeitig wirken sich offene Bildungsressourcen auch auf mögliche (medien-) pädagogische Settings aus: Unterstützt von der Medienanstalt Berlin-Brandenburg (mabb), wurden so bereits erste „Schulbuch-Hacking-Tage“ durchgeführt. Dabei konnten Berliner Schulklassen mit ihren Lehrkräften eigene Beiträge wie Videos, kleine Texte oder Fotos zu selbstgewählten Themen des OER-Bio-Schulbuches (vor-) produzieren. Das ist eben auch ein Aspekt: Offene Schulbücher bwz. Materialien können auch mitgestaltet werden. Wer sich dabei Sorgen um die Qualität des Buchs macht: Das Angebot wird weiterhin redaktionell betreut und Änderungwünsche am Original werden nur von der Redaktion vorgenommen.

War es das schon? Nein, denn mit dem Bio-Schulbuch ist eben auch ein Referenzwerk entstanden, auf das in der Bewegung rund um OER (kurz für engl. open educational resources, offene Bildungsressourcen) hingewiesen werden kann. Und es wirkt auch in der Öffentlichkeit: So berichtete die ZEIT über das Schulbuch. Und es wirkt wohl auch politisch: Es erscheint kein Zufall, dass im Land Berlin derzeit offene Bildungsressourcen besondere Unterstützung der Bildungspolitik erfährt.

Wer mitmachen möchte: Das neue Vorhaben des Teams ist das Schulbuch Politik/Wirtschaft für Realschulen und Gymnasien (Kernlehrplan von NRW), Heft 1: „Sicherung und Weiterentwicklung der Demokratie“. Alle Inhalte werden CC BY-SA lizenziert sein, der Erscheinungstermin ist für den Juni 2014 angesetzt.

  • Webseite des Projekts Schulbuch-O-Mat: http://schulbuch-o-mat.de
  • Ausführliche Projektbeschreibung: Martin Ebner, Martin Schön, Sandra Schön und Gernot Vlaj (Januar 2014). Die Entstehung des ersten offenen Biologieschulbuchs: Evaluation des Projekts “Schulbuch-O-Mat”, Diskussion und Empfehlungen für offene Schulbücher. Band 6 der Reihe “Beiträge zu offenen Bildungsressourcen”, herausgegeben von Ebner, Martin & Schön, Sandra (Hrsg.), Book on Demand, Norderstedt, ISBN 978-3-7322-9199-1 bzw. frei zugänglich unter http://o3r.eu
Sandra Schön Kurzbio
ist Senior Researcher bei Salzburg Research (Abt. InnovationLab), leitet regelmäßige Praxisprojekte beim BIMS e.V., studierte Pädagogik, Psychologie und Informatik an der LMU München (M.A./Dr. phil.). Interessensschwerpunkte: Offene Bildungsressourcen (OER), Lernvideos, Videoarbeit, Maker Movement, Partizipation. Mehr im Weblog: http://sandra-schoen.de.
Verfasst am 18.03.2014
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