Der Erste Weltkrieg zum Remixen

Screenshot von der Website

100 Jahre nach Ausbruch des Ersten Weltkriegs steht mit den Europeana Collections 1914-1918 eine einzigartige Sammlung digitalisierter Quellen für die Geschichte des Weltkriegs online. Die Digitalisate stammen aus zwei parallelen Projekten: Gemeinsam mit Archiven, Museen und Bibliotheken aus ganz Europa wurden Quellen digitalisiert und bereitgestellt. Zeitgleich wurden Objekte aus Familienbesitz erfasst und digitalisiert. Einige Menschen reisten Hunderte von Kilometern, andere warteten stundenlang, um ihre Familiengeschichte erzählen und aufzeichnen oder um ihre Familienerbstücke digitalisieren und ins europäische Online-Kulturerbe aufnehmen zu lassen.

Auf diese Weise ist eine Sammlung von mehreren Hunderttausend Digitalisaten zum Ersten Weltkrieg entstanden. Mehr als ein Einzelner je sichten kann. Das Sammlungsprojekt ist abgeschlossen, die Website veröffentlicht. Es stellt sich die Frage, was nun tun mit dem überwältigenden Ergebnis dieses Jahrhundertprojekts? Können die digitalisierten Quellen für medienpädagogische Geschichtsprojekte genutzt werden? Und wenn ja, wie?

Unverbrauchtes Rohmaterial

Die digitalisierten Quellen sind medial äußerst vielfältig. Es finden sich Fotos, Plakate, Tagebücher, Orden, aber auch Filme. Die meisten Objekte sind Public Domain oder stehen unter Creative Commons-Lizenz. Sie können also für die eigene Projektarbeit zum Ersten Weltkrieg verwendet, verändert und neu publiziert werden. Es gibt allerdings trotzdem eine Anzahl von Digitalisaten, bei denen sich einige der beteiligten Archive und Museen vollständigen Urheberrechtsschutz vorbehalten haben. Daher muss vor der Nutzung immer direkt am Objekt die Lizensierung geprüft und gegebenenfalls beim betreffenden Archiv oder Museum angefragt werden. In Einzelfällen scheint die Lizensierung durchaus fragwürdig und wirkt wie ein Versuch als Institution die Nutzung der „eigenen“ Quellen durch andere weiterhin kontrollieren zu wollen.

Obwohl sich die Europeana auch Europas digitale Bibliothek, Museum und Archiv nennt, sind die Digitalisate zunächst nicht Teil einer Ausstellung. Es fehlen begleitende Einordnungs- und Informationstexte. Wer die Sammlung durchstöbert, findet einen Riesenfundus von Rohmaterial. Das ist sowohl für die geschichtswissenschaftliche Forschung wie für die Projektarbeit in Schulen und außerschulischen Einrichtungen interessant.

Den Ersten Weltkrieg als europäische Geschichte von unten erzählen

Die Europeana Sammlungen 1914-1918 bieten Zeugnisse aus der Familienerinnerung: Geschichte, die in den Familien über den Urgroßvater erzählt wurden, Tagebuchaufzeichnungen, Postkarten, private Fotos, die die letzten hundert Jahre auf Speichern, in Kellern, Schränken und Schubladen überdauert haben. Damit eröffnet sich die Möglichkeit die Geschichte des Ersten Weltkriegs „von unten“ und in einer europäischen Perspektive zu erzählen. Wie haben die einfachen Soldaten und Menschen den Krieg und die Gewalt wahrgenommen? Wie haben Sie an der Front und zuhause in Deutschland, Frankreich, Belgien oder England gedacht? Welche Themen und Nachrichten, welche Hoffnungen und Ängste haben Sie bewegt?

Darin liegt angesichts von immer noch an nationalen Narrativen und „großer Politik“ ausgerichteten Geschichtslehrplänen eine Chance für eine wichtige Perspektivenerweiterung. Die digitalisierten Quellen können geteilt, bearbeitet, neu kombiniert und veröffentlicht werden. Kurzum die Sammlung ermöglicht kreative Medienarbeit an einem historischen Thema, das gerade eine unglaublich große öffentliche Aufmerksamkeit erlebt, die – solange man der intensiven medialen Berichterstattung noch nicht überdrüssig ist – sicher Interesse an der eigenen Auseinandersetzung mit dem Ersten Weltkrieg weckt.

Crossover-Projekte von Medienpraxis und Geschichtslernen

Da somit eine Fülle von Quellen zu verschiedenen Aspekten vorliegt und gerade weil den Quellen die Einordnung fehlt, können Jugendliche und Erwachsene in historischen Projekten ihre Fragen an die Geschichte des „großen Krieges“ formulieren, recherchieren, auswerten und ihre Antworten in medial vielfältiger – von der selbst erstellten analogen oder digitalen Ausstellung, über verschiedene künstlerische Ausdrucksformen bis hin zum eigenen Dokumentarfilm – als Geschichte(n) erzählen.

Es wäre wünschenswert, wenn viele pädagogische Projekte die Europeana-Sammlungen für die eigene Arbeit nutzen. Besonders bieten sich Kooperationsprojekte von Medienpraktikern mit Historikern (aus Schulen, Museen, Volkshochschulen etc.) an, die die Teilnehmenden bei der Umsetzung ihrer Ideen und der Beantwortung ihrer Fragen zum Ersten Weltkrieg unterstützen. Es steht zu erwarten, dass zu den bislang veröffentlichten Wettbewerbsaufrufen auf Bundesebene sowie in den Ländern noch weitere hinzukommen, die zusätzlicher Anreiz für die Beschäftigung mit dem Ersten Weltkrieg und zugleich Chance sein können, die Projektergebnisse einer größeren Öffentlichkeit vorzustellen.

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Dies ist ein Beitrag von Daniel Bernsen, Lehrer am Eichendorff-Gymnasium Koblenz und Fachberater für Geschichte im Schulaufsichtsbezirk Koblenz. Bernsen bloggt seit 2009 zum Geschichtsunterricht unter: http://geschichtsunterricht.wordpress.com

Daniel Bernsen Kurzbio
Lehrer am Eichendorff-Gymnasium Koblenz und Fachberater für Geschichte im Schulaufsichtsbezirk Koblenz. Bernsen bloggt seit 2009 zum Geschichtsunterricht unter: http://geschichtsunterricht.wordpress.com
Verfasst am 11.02.2014
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