Einsatzmöglichkeiten und Funktionen von Videokonferenzen in der Schule

In Zeiten der Corona-Pandemie gehören ‚Homeschooling‘ und ‚Distanzlernen‘ längst zum Alltag von Lernenden und Lehrenden, um während der Schulschließungen den Unterricht fortzuführen und die Kinder und Jugendlichen weiterhin zu fördern, zu unterstützen und zu bilden. Videokonferenzen wurden dabei zum Mittel der Wahl: Die allermeisten Schulen in Deutschland dürften wohl regelmäßig oder zumindest zeitweise den Unterricht via Jitsi, Zoom, Big Blue Button und Co. fortgesetzt haben, viele engagierte Lehrkräfte nutzen sie im ‚Corona-Schulalltag‘. Immerhin sieht oder hört die Lehrkraft endlich wieder ihre Klasse – Stichwort ‚Kontakt halten‘ –, sie kann Unterrichtsergebnisse besprechen oder Fragen klären.

Aber wie lassen sich Videokonferenzen in der Schule eigentlich überhaupt einsetzen? Wie können sie den Unterricht unterstützen und ergänzen? Und was gibt es da zu beachten? – Moritz Raab hat sich das genauer angesehen.

Versuchen wir, Einsatzmöglichkeiten und Funktionen von Videokonferenzen zu strukturieren – wofür wir auch Meinungen von Schülerinnen und Schülern einbeziehen werden.

Vielfältige Einsatzmöglichkeiten von Videokonferenzen

Dass Videokonferenzen nur dazu da sind, Ergebnisse zu besprechen oder Fragen zu beantworten, ist deutlich zu kurz gegriffen. Wollen wir ihre Nutzungsmöglichkeiten im schulischen Kontext beschreiben, lohnt es sich zunächst, nach Adressaten zu differenzieren.

Für Lehrkräfte eignen sich Videokonferenzen als Ersatz für analoge Konferenzen und als digitaler Treffpunkt für Absprachen und kollegialen Austausch (z.B. digitale Fachkonferenzen oder Besprechungen), außerdem als Fortbildungsmöglichkeit (sog. ‚Webinare‘) und Informationsveranstaltung durch die Schulleitung (z.B. digitale Dienstbesprechung).

Eltern dienen Videokonferenzen ebenso als Informationsveranstaltungen (z.B. digitaler ‚Tag der offenen Tür‘, digitale Gesamtkonferenz) und als Sprechstunden- und Beratungsmöglichkeit durch die Lehrkraft oder anderes Schulpersonal (z.B. digitaler Elternsprechtag oder Elternabend).

Zentral sind Videokonferenzen im Unterrichtskontext für Schülerinnen und Schüler: Sie ersetzen den Präsenzunterricht und führen ihn gewissermaßen digital fort, entweder in Form einzelner Unterrichtsphasen oder sogar als ganze Unterrichtseinheit (‚Live-Unterricht‘). Zudem fungieren sie auch als Möglichkeit, einzelnen Schülerinnen und Schülern ein Beratungs- und Unterstützungsangebot zu machen und eine individuelle Kontaktaufnahme anzubieten (z.B. digitale Sprechstunde), Unterrichtsrituale zur Tagesstrukturierung zu etablieren (z.B. digitale Morgenrituale), Klassenangelegenheiten zu klären und Organisatorisches zu besprechen sowie insgesamt persönlichen Austausch und soziale Kontakte zu ermöglichen. Gerade der letzte Punkt ist in Zeiten von social distancing nicht zu unterschätzen und mithin Teil der pädagogischen ‚Beziehungsarbeit‘.

Videokonferenzen sind in allen Unterrichtsphasen einsetzbar!

Wir bleiben hier aber im Unterrichtskontext. Wenn wir sagen: „Videokonferenzen ersetzen normalen Unterricht“, dann müssten sie auch in den gleichen didaktischen Phasen zum Einsatz kommen, also zum Einstieg, zur Erarbeitung, zur Auswertung/Sicherung und zur Vertiefung/Anwendung des Gelernten. Tatsächlich können wir Videokonferenzen je nach Unterrichtsphase spezifische Funktionen zuordnen, die sich durch Aussagen von Schülerinnen und Schülern der Jahrgänge Jg. 9-12 eines Gymnasiums in einer (nicht repräsentativen) Umfrage bestätigen lassen.

Videokonferenzen zum Unterrichtseinstieg: Hier dienen sie dazu, zum neuen Thema hinzuführen, die zu bearbeitenden Aufgaben vorzustellen, Hinweise zu notwendigen Arbeitsschritten und relevanten Methoden zu geben und Fragen zu klären. Um alle Schülerinnen und Schüler ‚mitzunehmen‘, dürften Videokonferenzen mit einer solchen Einstiegsfunktion für alle verpflichtend sein. Wie wichtig ein gemeinsamer Unterrichtseinstieg ist, um einer Überforderung der Schülerinnen und Schüler vorzubeugen, spiegeln auch deren Meinungen in der genannten Befragung: Es sei wichtig, „neue Themen in Webkonferenzen durchgehen, um die Schüler nicht mit neuen Themen zu überrumpeln“, damit „man es eventuell besser versteht“, um „dort mögliche Fragen zu klären“, gerade da es „alleine teilweise sehr schwer ist, sich neue Themen anzueignen“. Fehlt ein solcher gemeinsamer Unterrichtseinstieg, führe das „zu Problemen“ und würde in Eigenarbeit „meist sehr lange dauern“ sowie „die vorgegebene Zeit deutlich überschreiten“. Es ist also sehr nachvollziehbar, wenn die Schülerinnen und Schüler hierbei sagen: „Da brauchen wir Unterstützung.“

Videokonferenzen während der Erarbeitung: Während des Arbeitsprozesses können Lehrende mit Hilfe von Videokonferenzen eine Anleitung und Hilfestellung zu den zu bearbeitenden Aufgaben anbieten, Gruppenarbeiten betreuen, eine gemeinsame Erarbeitung ermöglichen – gerade bei schwierigen Aufgaben – oder Fragen klären, die den Schülerinnen und Schülern während der Bearbeitung aufkommen. Übrigens kann dies ein freiwilliges, binnendifferenzierendes Angebot sein, das sich vor allem an Leistungsschwächere richtet oder auch Einzelunterricht ermöglicht. Dieser sei in Konferenzen mit der ganzen Klasse schließlich wenig angebracht: Es sei schlimm, „wenn die Konferenz lediglich aus Einzelgesprächen besteht, dafür braucht es nämlich keine Konferenz.“ Solche individuellen Angebote zur durch die Lehrkraft betreuten Aufgabenbearbeitung, sei es alleine oder in Kleingruppen, oder zum Klären individueller Fragen scheinen daher eine ideale Differenzierungsmöglichkeit zu sein.

Videokonferenzen zur Ergebnissicherung: Die zentrale und von den Lehrkräften vermutlich intuitiv genutzte Funktion der ‚Ergebnissicherung‘ kommt eine Videokonferenz dadurch nach, dass die Ergebnisse der ‚Homeschooling‘-Aufgaben gesammelt, präsentiert, verglichen, ausgewertet, korrigiert und ergänzt werden. Dies kann in Form des Unterrichtsgesprächs erfolgen, wobei auf eine Visualisierung der Ergebnisse (bspw. als Schüler- oder Musterlösung) nicht verzichtet werden sollte, ebenso wenig wie auf eine abschließende Fragerunde zum neuen Lerngegenstand.

Eine bloße Präsentation der Lösungen zwecks Abgleichs ist übrigens wenig hilfreich, wie auch ein Schüler feststellt: „Beim Hausaufgaben-Vergleichen nicht nur die Lösungen zeigen und fertig.“ Eine andere Schülerin findet: „Ich weiß nicht, ob es eventuell zu zeitaufwändig ist, Aufgaben zu vergleichen. Es geht auf jeden Fall schneller, wenn das jeder für sich macht.“ Oder auch: „Videokonferenzen sollten nicht daraus bestehen, dass der Lehrer* nur die Lösungen zu den Aufgaben vorstellt, da dies für mich auch über eine Musterlösung vermittelt werden könnte.“ Es muss also unbedingt darum gehen, die Ergebnisse buchstäblich ‚auszuwerten‘, das heißt, das Neue herauszustellen, ein Fazit zu ziehen, einen Vergleich mit Vorerwartungen oder einstigen Vermutungen anzustellen und mit den neuen Erkenntnissen weiterzuarbeiten (im Sinne einer Vertiefung und Vernetzung, s.u.), also einen „Wissen vermittelnden Ansatz“ verfolgen, wie eine Schülerin fordert.

Damit zusammenhängend sollten auch nicht alle Ergebnisse im Detail durchgegangen oder gar einfach nur vorgelesen werden, wie ein Schüler feststellt: „Manche Lehrer lesen in den Konferenzen Lösungen vor, um sie danach hochzuladen, so hören viele nicht richtig zu.“ Effektiver (und effizienter) scheint es, dass Auswahl der zu besprechenden Aufgaben zu treffen und in der Videokonferenz zu behandeln, ergänzt von Musterlösungen, die die Schülerinnen und Schüler selbstständig zur Kontrolle heranziehen können – so jedenfalls lauten ihre Vorschläge: „Lösungen sollten auch nur besprochen werden, wenn es sehr viele Fehler in den Bearbeitungen gab, ansonsten reicht es vollkommen die Lösungen hochzuladen. Viele schalten bei solchen Besprechungen nämlich ab und so werden die Konferenzen sinnlos und eine Zeitverschwendung.“ Oder: „Es wäre besser, die Lösung stichpunktartig zu erläutern und nur die wirklich schweren/komplizierten Dinge komplett in der Konferenz zu erklären.“

Welche Aufgaben waren problematisch, schwierig, zu komplex? Bei welchen wurden die meisten Fehler gemacht und worin lagen sie? Welche Aufgaben sind zentral für den weiteren Lernprozess? An solchen und ähnlichen Fragen müsste sich dann eine solche Sicherungsphase orientieren und sie müsste idealerweise zu diesen ‚fehlerbehafteten‘ Aufgaben weitere Übungen anbieten. Dass diese Videokonferenzen ebenfalls für alle Schülerinnen und Schüler verpflichtend sein müssten, versteht sich von selbst. Zudem können in dieser Phase Schülerpräsentationen – sozusagen digitale Referate – gehalten werden, die freilich auch eine gemeinsame Auswertung nach sich ziehen sollten.

Videokonferenzen zur Vertiefung und Anwendung des Gelernten: Etwas im Schatten steht wohl die ‚Vertiefungsfunktion‘, womit eine weiterführende Auseinandersetzung mit den Ergebnissen der ‚Homeschooling‘-Aufgaben gemeint ist, z.B. durch Anwendung, Vernetzung und Transfer, Diskussion und Urteilsbildung, Reflexion, Metakognition und Evaluation des Lernprozesses. Solche Videokonferenzen könnten ebenfalls für alle verpflichtend sein oder – binnendifferenzierend – ein Angebot für die Leistungsstärkeren darstellen, um sie besonders zu fordern. Wie wichtig die gemeinsame Weiterarbeit mit den Ergebnissen ist, haben wir eben bereits festgestellt, sei aber durch eine weitere Schülerantwort noch einmal gestützt: „Ich finde es gut, wenn Aufgaben besprochen werden und dann vertiefende Fragen gestellt werden oder diskutiert wird.“

Wo wir gerade von Differenzierung sprechen: Es dürfte aufgefallen sein, dass sich Videokonferenzen besonders zur individuellen Unterstützung der Schülerinnen und Schüler nutzen lassen, übrigens nicht nur in der Bearbeitungs- oder Vertiefungsphase (s.o.), sondern auch zur ‚Sicherung‘ in Form einer detaillierten Aufgabenbesprechung in Einzelgesprächen. Generell gilt hierbei, wie eine Schülerin mahnt, „nicht die Schüler [zu] vergessen, die es nicht verstanden haben, und ihnen eine freiwillige Webkonferenz anzubieten.“

Nicht zu jedem Unterrichtsschritt und zu jeder Aufgabe muss in einer Lerngruppe eine eigene Videokonferenz zum Einsatz kommen. Mal lohnt es sich, bei einer komplexeren Aufgabe gemeinsam ins neue Thema einzusteigen, mal ist die Aufgabe klar, aber einzelne Schülerinnen und Schüler brauchen Hilfe bei der Bearbeitung, mal bieten sich eine Diskussion einer Problemstellung oder gemeinsame mündliche Übungen (z.B. gerade bei Fremdsprachen) an. Nur eine ‚Sicherungs-Videokonferenz‘ sollte wohl immer vorkommen, um ein gemeinsames Ergebnis auszuhandeln, offene Fragen zu beantworten und den Erkenntnisgewinn bzw. Kompetenzzuwachs herauszustellen.

Videokonferenzen als normale Unterrichtsstunde – der ‚Live-Unterricht‘

Ein Sonderfall – oder sollten wir besser von Idealfall sprechen? – sind Videokonferenzen, die die Bearbeitung von ‚Homeschooling‘-Aufgaben nicht begleiten, sondern fast gänzlich integrieren und zeitlich wie methodisch wie eine übliche Unterrichtsstunde ablaufen, nur eben virtuell. Eine solche ‚Live-Unterrichtsstunde‘ umfasst alle der oben skizzierten Phasen, so wie normaler Unterricht eben. Nach einem gemeinsamen Einstieg arbeiten die Schülerinnen und Schüler in virtuellen Gruppenarbeitsräumen (sog. ‚Breakout Rooms‘) in Partner- oder Kleingruppenarbeit an einer Aufgabe, deren Ergebnisse im Anschluss präsentiert, ausgewertet, diskutiert und vertieft werden.

Gleich mehrere Vorteile lassen sich hier feststellen: die Schülerinnen und Schüler erhalten quasi-normalen Schulunterricht und somit eine klare Tagesstruktur, sie arbeiten kooperativ, treten in einen Austausch und können sich untereinander helfen, durch eine von der Lehrkraft so geschaffene, verbindliche Arbeitsatmosphäre sind sie weniger abgelenkt, sie erhalten direkt Hilfen und Rückmeldungen von der Lehrkraft, können somit auch komplexere Aufgaben angehen und sind insgesamt viel motivierter bei der Sache – das findet sich auch in Schülerstatements wieder: „Konferenzen, die wie eine normale Stunde gestaltet sind, halte ich für sinnvoller und [sorgen] für eine bessere Abwechslung.“ Solche Videokonferenzen, die echte Unterrichtsstunden simulieren, ernten überhaupt großes Lob: „Eine Lehrerin hat es so tatsächlich geschafft, dass der Unterschied zwischen Homeschooling und Präsenzunterricht marginal bleibt.“

Ausprobieren lohnt sich!

Die hier aufgestellten Thesen zu Einsatzmöglichkeiten und Funktionen von Videokonferenzen basieren auf eigenen Erfahrungen und Erprobungen im Schulalltag sowie auf der Reflexion von Schülerinnen und Schülern. Die vorgenommene Strukturierung soll einen Überblick über die vielfältigen Möglichkeiten geben, wie Videokonferenzen den Unterricht und das Schulleben insgesamt unterstützen können. Die vorgestellten Unterrichtsformen, insbesondere der ‚Live-Unterricht‘, laden dabei die Lehrkräfte zum Ausprobieren ein und mögen auch die medienpädagogische Diskussion um Möglichkeiten und Grenzen von ‚Videounterricht‘ anregen.

Moritz Raab Kurzbio
Moritz Raab (M. Ed.) ist Lehrer für Latein und Politik-Wirtschaft an einem Gymnasium. Seit seinem Studium beschäftigt er sich mit digitalen Medien im Unterricht, wobei sein besonderes Augenmerk auf der Digitalisierung im Lateinunterricht liegt. Neben der Durchführung von Unterrichtsprojekten mit digitalen Medien gewinnt er vor allem durch die alltägliche, tabletgestützte Unterrichtspraxis an einer iPad-Pilot-Schule Erkenntnisse zu medienpädagogischen Fragestellungen.
Verfasst am 31.08.2021
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