Social Media – Antisocial Media? – «The social Dilemma» (Jeff Orlowski, USA 2020)
Lassen wir mit der Verbreitung und Nutzung von Social Media zu, dass unser gesellschaftlicher Zusammenhalt kaputt geht, dass wir manipuliert werden, dass wir süchtig oder depressiv werden?
Der Dokumentarfilm „Das Dilemma mit den sozialen Medien“/ «The social Dilemma» (Jeff Orlowski, 9.9.2020, Netflix) lässt unterschiedliche Technologie- und Finanzexpertinnen und -experten zu Wort kommen, die aufgrund ihrer früheren Arbeit bei Social Media Firmen einen vertieften Einblick in deren Strategien, Ziele und Methoden gewonnen haben. Parallel dazu erzählt er die Geschichte einer Familie, in der ein Junge und ein Mädchen auf unterschiedliche Art und Weise an Social Media Nutzung leiden. Der Film ist für die eigene Weiterbildung von Medienpädagoginnen und Medienpädagogen interessant und kann auch gut in Veranstaltungen zum Einsatz kommen.
Folgende Vorwürfe beziehungsweise Problembereiche werden benannt:
- Social Media Plattformen sammeln Daten der Nutzenden, um passgenaue Werbung schalten zu können
- Alles ist darauf abgestimmt, die Verweildauer der Nutzenden zu erhöhen und die Aufmerksamkeit für Werbung verkaufen zu können
- Es werden Verhaltens-Experimente mit Nutzenden gemacht
- Es wird versucht, das Nutzungsverhalten vorherzusagen
- Politische Wahlen und Abstimmungen können manipuliert werden
- Regierungen eines Staates können gezielt destabilisiert werden
- Meinungen polarisieren sich
- Menschen beschäftigen sich oft nur noch mit Meinungen , die der eigenen Haltung entsprechen
- Demokratie wird geschwächt
- Der soziale Zusammenhalt wird geschwächt
- Kinder und Jugendliche können durch unrealistische Schönheitsideale und soziale Vergleiche Unzufrieden mit ihrem Aussehen entwickeln (Stichwort „Snapchat-Dysmorphie“)
- Der Dopaminhaushalt wird aus dem Gleichgewicht gebracht
- Menschen können depressiv werden
Nicht nur inhaltlich, sondern auch filmästhetisch ist der Dokumentarfilm interessant, weil verschiedene filmische Elemente miteinander verwoben wurden: Interviewsequenzen (z. B. Tristan Harris), eine fortlaufend erzählte Spielfilmgeschichte, die den Umgang mit Social Media und Handy in einer Familie zeigt, eine Spielfilmnarration, die Drillinge bei dem Versuch zeigt, den Jungen aus der Familie effektiv zu manipulieren, Nachrichtenmaterial (z.B. Unruhen in den USA oder in Frankreich), speziell produzierte Cartoon-Szenen, Filmausschnitte aus Spielfilmen z. B. (Truman Show, Terminator).
Am Ende des Films kommen nochmals alle interviewten Protagonisten zu Wort. Sie äußern Ideen in Bezug auf die Lösung der genannten Probleme:
Z. B. vor dem Posten von Nachrichten einen Faktencheck machen, unnötige Social Media Apps und Nachrichten Apps löschen, YouTube Filme immer selbst auswählen und nicht vorgeschlagen Filme anschauen, sich auch mit Menschen verbinden, die andere Meinungen kommunizieren, staatliche Reglementierungen etablieren, Social Media Firmen für gesellschaftliche Schäden verantwortlich machen.
Es lohnt sich auch kritische Fragen zu stellen:
- Sind die Aussagen ausreichend differenziert? Bei diesem Statement könnten Zweifel angemeldet werden: „Diese Dienste bringen Menschen um und bringen Menschen dazu, sich umzubringen.“ (Tim Kendall)
- Sind die Aussagen wissenschaftlich abgesichert? (Der kausale Zusammenhang zwischen Social Media und Depression ist wissenschaftlich nicht eindeutig bestätigt.)
- Ist die Kritik spezifisch genug? Manchmal vermischen sich die Ebenen: Kritik an Werbung und «Manipulation», die auch unabhängig von Social Media formuliert werden könnte (z.B. bei Plakatwerbung oder TV-Werbung) und Kritik, die speziell an Methoden von Social Media Plattformen ansetzt (z.B. Experimente mit Nutzenden, Werbung auf der Grundlage von gesammelten Daten, Maximierung der Verweildauer durch Verstärkerpläne).
- Verstehen alle Zuschauenden das Bild mit den Drillingen und dem Avatar, der vor den Monitoren hängt? Könnte der Film für manche Zuschauenden das Bild nahelegen, dass es tatsächlich kleine Teams gibt, die sich speziell um digitale Aktivitäten und Werbepotenziale eines Individuums kümmern?
- Können Zuschauende die verschiedenen Wirklichkeitsebenen auseinanderhalten (z.B. Aufnahmen von echten Krawallen in den USA und fiktionale Krawalle, die für den Film von Schauspielerinnen und Schauspielern inszeniert wurden)?
Medienpädagoginnen und Medienpädagogen profitieren von dem Film im Sinne von Weiterbildung und persönlicher Auseinandersetzung. Auch im Kontext von Bildungs- und Weiterbildungsveranstaltungen kann der Film als Ganzes oder in Ausschnitten zum Einsatz gebracht werden.
Folgende Leitfragen können nützlich sein:
- Was hat dir gefallen, was hat dir nicht gefallen?
- Gab es eine Figur in der Familie, mit der du dich identifizieren konntest?
- Konntest du dich mit einer Interview-Person identifizieren?
- Welche der im Film genannten kritischen Aspekte in Bezug auf Social Media scheinen dir plausibel?
- Bei welchen der genannten kritischen Aspekte bis du skeptisch?
- Denkst du, dass bestimmte kritische Punkte fehlen?
- In welchem Verhältnis stehen Medium (z. B. intermittierende Verstärkung bei einer Social Media Plattform), Mensch (z. B. soziale Eingebundenheit) und Nutzungskontext bei der Frage nach den Auswirkungen von Social Media?
- Was genau könnte mit dem Begriff „Dilemma“ aus dem Titel gemeint sein? Wo siehst du Dilemmata?
- Hast du selbst Erfahrungen mit negativen Auswirkungen von Social Media gemacht (bei dir selbst oder bei anderen)?
- Wie schätzt du die Lösungsansätze ein, die am Ende des Filmes genannt werden?
- Hast du selbst eigene Lösungsansätze, die du ergänzen würdest?
- Wie fandest du die Ästhetik des Filmes (z. B. die Kombination von fact und fiction)?
Links:
https://www.sueddeutsche.de/digital/netlix-social-dilemma-kritik-1.5031070
https://www.nytimes.com/2017/05/13/technology/google-education-chromebooks-schools.html
https://en.wikipedia.org/wiki/The_Social_Dilemma
https://www.thesocialdilemma.com/