„Das nennt man Flow…“

Das-nennt-man-Flow…hört man oftmals MedienpädagogInnen sagen, wenn sie in Vorträgen, bei Elternabenden und Fortbildungsveranstaltungen über die Faszinationskraft von Computerspielen und deren SpielerInnen sprechen. Was gab es in den letzten Jahren nicht alles an Veröffentlichungen zum Themenbereich Games in unserer Gesellschaft, vor allem natürlich in Bezug auf Kinder und Jugendliche. Kein Wunder, bestätigen doch alle Studien und Befragungen (ganz aktuell die BITKOM-Studie) in diesem Segment, dass das Medium Computerspiel und dessen Peripherie [Gaming-Technik, Gaming-Communities, Gaming-Journalismus, usw.] bei den meisten 6 – 19 Jährigen – direkt oder indirekt – großes Thema ist.

Soweit so gut!

Nun wurde vor kurzem ein Artikel von Thomas Lindemann aus dem WASD Magazin auf Zeit Online veröffentlicht, welcher sich eigentlich „nur“ [mal wieder] mit dem Thema Computerspiel als Kulturgut beschäftigte. Bitte nicht falsch verstehen, der Artikel ist super und sollte Pflichtlektüre für alle MedienpädagogInnen sein, die sich im ersten Absatz angesprochen fühlten [aber auch für allen anderen ;-)]. Dennoch greift er mit bekannten und einigen neuen Aussagen und Intentionen eine seit Jahren immer wiederkehrende Debatte auf, deren Akteure sich scheinbar im Kreise drehen. Was den Artikel für mich aber so wertvoll macht ist ein ganz bestimmter Abschnitt. In diesem berichtet der Autor über eine Anekdote, wo ein Artikelvorschlag von ihm zu BioShock Infinite von einer Redakteurin abgelehnt wurde, mit der Aussage, dass die „spielaffinen“ Kollegen in der Redaktion das Spiel für weniger wichtig erachteten. Unabhängig von der Qualität dieser Aussage, bemängelt er vor allem einen Fakt: die Redakteurin konnte sich selbst keine Meinung bilden, da sie keinerlei Bezug zum Medium Computerspiel hatte! Er zieht an dieser Stelle noch einige Vergleiche zu den Kulturgütern Musik, Architektur und Literatur und ist sich sicher, dass die besagte Redakteurin sofort, oder nach kurzer Recherche sich ein Urteil über diese hätte herleiten können.

Was für Lindemann eine Anklage in Richtung „Meinungsbildner“ und deren Prioritätensetzung in Bezug auf das Kulturgut Computerspiel war, eröffnete für mich die Frage nach der Profession Medienpädagogik und dem Selbstverständnis derer, die sich mit Medien in Bildungs-, Familien- und Freizeitkontexten auseinandersetzen!

Komme ich also zurück auf mein Eingangs skizziertes Szenario:

In vielen medienpädagogischen Veranstaltungen taucht natürlich auch das Medium Computerspiel als Thema auf. Es werden Zahlen und Fakten präsentiert, es wird über potentielle Wirkungsmechanismen debattiert und in jüngerer Zeit zunehmend über den Nutzen von Games in Bildungskontexten. Man liest sich in das Thema ein, erstellt Powerpoint, Prezi o.ä. Präsentationen und vermittelt das angeeignete Wissen.

Was passiert aber, wenn [wie es ab und zu dann doch auch mal geschieht] Kinder, Jugendliche oder erwachsene Spielende anwesend sind und Fragen stellen wie: „Fanden Sie auch, dass die Flugzeugszene mit der AC-130 in Modern Warfare eine Grenzüberschreitung war und wenn ja warum?“ oder „Mich hat der Spiegel, der mir in Spec Ops: The Line vorgehalten wurde, enorm fertig gemacht – wie ging es Ihnen damit?“. Natürlich könnten es auch ganz andere spielbezogene Fragen sein, die auf den ersten Blick sehr individuell klingen, sich auf den zweiten dann aber als fast schon existentiell herausstellen, wenn man das Computerspiel als Kulturgut verorten will.

Moment werden Sie sagen – nicht mal die Hardcoregamer unter den praktizierenden Medienpädagogen können jede dieser potentiellen Fragen adäquat beantworten, eine so intensive Auseinandersetzung mit einem Medium kann man von niemandem erwarten! Da würde ich Ihnen auch uneingeschränkt Recht geben, aber die Fragen die sich jeder stellen sollte sind: Gibt es denn überhaupt irgendwelche Spielerfahrung, auf die ich bei ähnlichen Fragen zurückgreifen kann? Wann habe ich das letzte Mal eine Rezension zu einem Computerspiel und dann vielleicht sogar im Vergleich bei verschiedenen Herausgebern [glauben Sie mir hier gibt es z.T. enorme Unterschiede) gelesen? Welche Community Debatte im Gamingbereich hat Sie fasziniert und wie sind Sie auf diese gestoßen? Wann hatte ich mein letztes Flow-Erlebnis beim Computerspielen? Können sie sofort die Frage beantworten, warum das WASD Magazin eigentlich WASD Magazin heißt?

Worauf ich hinaus möchte ist [und damit komme ich zur Anklage von Herrn Lindemann zurück] die Frage nach der Verhältnismäßigkeit und die Tiefe mit der wir MedienpädagogInnen uns mit einem Medium auseinandersetzen, welches erwiesenermaßen auf so viele in unserer Zielgruppe direkt oder indirekt wirkt? Warum können sich nur wenige vorstellen während ihrer Arbeitszeit ein bestimmtes Computerspiel oder ein bestimmtes Genre zu spielen, um sich damit praktisch fortzubilden und die Erkenntnisse ganz bewusst einzusetzen? Wie viel Zeit investieren wir in das Erlernen von Video-, Audio und Fotobearbeitungsprogrammen oder setzen uns intensiv mit anderen medienpädagogischen Themenbereichen auseinander, die auf der Beliebtheitsskala und zugleich auf der kontroversen Diskussionsebene lange nicht so weit oben angesiedelt sind wie das Medium Computerspiel?

Natürlich hat hier jeder seine ganz persönlichen – oftmals aber auch auf institutionelle Vorgaben hin ausgerichteten – Meinungs- und Erfahrungswerte, aber sind diese auch mit einer lebensweltorientierten, modernen und praxisorientierten Medienpädagogik vereinbar?

Ich denke gerade wir in der Medienpädagogik sollten keine „mangelnde kulturelle Bereitschaft“ [wie es Stephanie Weiß so schön in der Medienpädagogik Gruppe auf Facebook formulierte] aufzeigen und die Debatte um das Kulturgut Computerspiel dahingehend bereichern, indem wir es auch als solches wahrnehmen uns darüber informieren und nicht zuletzt, indem wir es SPIELEN!

Wenn nicht wir, wer dann?

Gerrit Neundorf Kurzbio
studierte in Leipzig und in Darmstadt Sozialpädagogik, wo er u.a. durch Prof. Dr. Franz-Josef Röll von der Medienpädagogik infiziert wurde. Von 2002 bis Mai 2009 war er als Medienpädagoge beim Landesfilmdienst Thüringen e.V. angestellt und betreute dort mehrere landesweite Projekte. Seit 2007 ist er einer der Leiter von Spawnpoint - Instituts für Spiel- und Medienkultur e.V. Für das Land Thüringen ist er seit 2011 als Jugendschutzsachverständige bei der Unterhaltungssoftware Selbstkontrolle (USK) tätig.
Verfasst am 20.08.2013
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