Kinder und Jugendliche zu einem kompetenten Aufwachsen mit dem Netz befähigen
Eine Forderung von Jürgen Ertelt in der Diskussion um den Jugendmedienschutz

"Internet Open" von balleyne auf flickr.com (CC BY)
In der Auseinandersetzung um die Novellierung des Jugendmedienschutzstaatsvertrages (JMStV) wurden bereits viele kritische Beiträge (siehe u.a. hier) veröffentlicht. Diese grundsätzliche Kritik ist auch nach einem Jahr der gescheiterten Neuauflage des JMStV aktuell und soll an dieser Stelle keine Wiederholung finden. Vielmehr möchte ich weitere Überlegungen für einen akzeptablen Jugendmedienschutz im Zeitalter digitaler Medien und Internet zur fortzuführenden Diskussion stellen.
Diese Wege sollten wir im Interesse der jungen Generation (an)gehen:
- Medienkompetenz stärken mit definierten, tragfähigen Zielen (siehe unten) bei Kindern, Jugendlichen, Eltern und anderen Sozialisationsbegleitern in Schule und Freizeit, sowie bei Politikern und anderen Entscheidern. Eltern und andere Erziehende befähigen, ihren Pflichten gerecht werden zu können.
- Internet als Durchdringung der Gesellschaft verstehen und vermitteln, mediale Angebote im Netz in ihrer mehrdimensionalen, kommunikativen Ausprägung begreifen und darstellen. Freie Meinung und informationelle Selbstbestimmung als voraussetzendes Gut der Demokratie achten und vermitteln, zur Teilhabe an Gesellschaft mittels Medien motivieren. Netzsperren als Zensur einordnen, geächtete und strafrechtlich relevante Inhalte mit polizeilichen Maßnahmen und gerichtlichen Entscheidungen entgegnen. Keine subsummierende, gesonderte Gesetzgebung zu bestehenden Gesetzen auflegen, vorhandenen Rechtsrahmen ausreichend nutzen. Das Internet ist kein „rechtsfreier Raum“.
- Permanenten, offenen ethischen Diskurs unter Beteiligung aller Betreffenden, besonders Jugendlichen und Erziehenden, initiieren und abbilden.
- Bewertung von Inhalten durch Nutzende und Erziehende als Aushandlungsprozess entwickeln. Softwaregestützte, Crowdsourcing basierende Bewertungshilfen transparent und nachvollziehbar einsetzen, Empfehlungslisten zur Orientierung offen (wie Wikipedia) erarbeiten und mit Suchmaschinen-Ergebnissen transparent verbinden. Inhalte-Anbietende auffordern, freiwillig und unverbindlich ihre Inhalte als Orientierung für personalisierte Empfehlungslisten zu kennzeichnen. Keine automatisierte Ausblendung so getaggter Inhalte, Kennzeichnungen ausschließlich als Basis für eigene Bewertungen und Empfehlungen verstehen. Ziel ist das Erreichen einer persönlichen Filter-Souveränität.
- Selbstregulierung als Anspruch aller Nutzenden definieren.
Und: Gesetzlicher Jugendmedienschutz erfüllt als so gestaltete Offensive sehr wohl seinen verfassungsrechtlichen Auftrag.
Exkurs
Die viel beanspruchte (oben genannte) Medienkompetenz braucht Ziel-Beschreibungen, sonst macht sie keine Aussage.
Meine Aufstellung anzustrebender Ziele:
- Angstfreie Nutzung des Netzes und der Medien
- Aneignung, Vermittlung und kreative Interpretation von Anwendungswissen
- Medien als soziales Element verstehen und nutzen
- Medien nutzen für Solidarität und Vernetzung
- Medien kommunikativ nutzen und selber mediale Inhalte produzieren.
- Mit Medien und Inhalten kreativ experimentieren
- Medien als Quelle sinnlicher Erfahrung wahrnehmen und ästhetisch einordnen können, Ästhetik digitaler Werke weiterentwickeln
- Wert medialer Inhalte (be)achten, selber Werte schaffen und teilen.
- Problemlagen von Medieninhalten erkennen
- Ethische Fragen zu Medieninhalten positionierend diskutieren
- Medien nutzen um eigene Interessen zu artikulieren
- Meinungen respektieren und für die Freiheit der Meinungsvielfalt eintreten
- Wissen über Besitzverhältnisse von Medien
- Kritisches Bewusstsein hinsichtlich Macht der Medien und ihrer Besitzer-Interessen
Ich freue mich auf den weiteren Diskurs. Aktivitäten, die den derzeitigen Stand der Auseinandersetzung und des parlamentarischen Willens hinsichtlich des JMStV durch voreiliges Schaffen von Fakten durch u.a. übereilter Anerkennung seitens der KJM von bereits ausführlich kritisierten sog. Jugendschutzprogrammen torpedieren, sind diesem Prozess nicht zuträglich und führen zu einer sich bestätigenden Ablehnung nicht funktionaler Jugendmedienschutz-Maßnahmen.
Eine gute Basis für eine zielführende Entwicklung zu einem akzeptablen Jugendmedienschutz könnte ein Arbeitsergebnis der UAG „schädigende Inhalte“ des Dialog-Internet.de sein. Hier werden unterschiedliche Ansätze für Kinder und Jugendliche als anpassbares Risikomanagement verfolgt. Im Mittelpunkt stehen keine Filterprogramme, sondern ein (flexibler) Verbund von redaktionell empfehlenden, medienpädagogisch intervenierenden und technischen Maßnahmen.
Dies ist ein Gastbeitrag von Jürgen Ertelt. Der Autor (*1957) ist Sozial- und Medienpädagoge und arbeitet als Koordinator im Projekt „youthpart – Jugendbeteiligung in der digitalen Gesellschaft“ bei IJAB, Fachstelle für internationale Jugendarbeit, in Bonn. Dort ist er u.a. für die Modellentwicklung von Partizipationsmöglichkeiten mittels Internetangebote verantwortlich. Dabei stehen Beteiligungsmöglichkeiten Jugendlicher in zu entwickelnden eGovernment-Angeboten im Fokus.
Jürgen Ertelt ist seit mehr als 25 Jahren medienpädagogisch aktiv. Er ist Mitglied in der GMK und im Trägerverein des JFF. Politisch engagiert er sich zu Herausforderungen des Internets mit Blick auf Demokratie, Staat und Gesellschaft.
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