Ein moralischer Grenzgänger!?

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Logo zum Spiel von www.1378km.de

Welche Medien darf Mensch nutzen, um Geschichte zu hinterfragen? So wie es aussieht, eigentlich alle, bis auf? Na Sie ahnen es sicher schon – richtig, Computerspiele!

Das Thema der innerdeutschen Grenze wurde schon häufig – auch medial – bearbeitet. Von TV Doku bis Theaterstück, immer fanden sich Interessierte, die über diese Art der Wissensvermittlung Informationen einholten, oder gar eigene Erlebnisse aufarbeiten wollten. Nun stellt sich die Frage, ob das Thema auch für heutige Jugendliche interessant und aufarbeitungswürdig ist und wenn ja, wie? Jens M. Stober, selbst noch junger Student der Karlsruher Hochschule für Gestaltung (HfG), beantwortete sich diese Fragen mit JA und lieferte auch gleich noch eine nicht ganz unumstrittene, aber dennoch vielversprechende Methode der Wissensvermittlung, ein Serious Game.

Klingt auf den ersten Blick alles sehr innovativ? Das dachten sich der Student und seine Hochschule auch. Pünktlich zum 20. Jahrestag der deutschen Einheit sollte das Spiel kostenlos zum Download bereit stehen und spielerisch deutsch-deutsche Geschichte vermitteln. Aber es kam anders. Ein Aufschrei ging durch das „einig Vaterland“ vor allem Opferverbände, Gedenkstättenbetreiber und Politik gingen auf die Barrikaden, um zu verhindern, was moralisch nicht sein darf. Mit Erfolg, die Hochschule zog das Spiel zurück, die Staatsanwaltschaft Berlin prüft nach Paragraf 131 des Strafgesetzbuches den Tatbestand der Gewaltverherrlichung.

Für alle, die die Diskussion um 1378 (km) bisher nicht verfolgt haben sollten, hier ein Link zur Ankündigung des Spiels: KLICK und hier ein Link zur öffentlichen Debatte und den Konsequenzen: KLICK

Was ist da schief gelaufen, beim Projekt 1378 (km)? Aus meiner Sicht spiegelt sich in der Debatte um das Spiel nicht nur das Unverständnis für das Kulturgut Computerspiel, welches in Deutschland mehr als in allen anderen europäischen Ländern herrscht, wider. Es geht im Besonderen darum, dass etablierte Gedenkstättenpädagogen scheinbar den Zug zu aktuellen, methodisch-didaktischen Herangehensweisen der Wissenvermittlung verpasst haben.

Aber schön der Reihe nach:

Was kann und muss man dem Entwickler vorwerfen?

Ok, er hat für sein Game das Spielgenre gewählt, das derzeit in der öffentlichen Debatte um Computerspiele am schlechtesten wegkommt – die First Person Shooter. Aber ist dies allein ein Ausschlusskriterium, um damit Wissen zu vermitteln? Laut einhelliger Meinung der von den Medien angesprochenen Gedenkstätten-VertreterInnen – definitiv! Ganz nebenbei wurde dann auch von den Befragten – welche übrigens nicht als Computerspielexperten interviewt wurden(!) – dem geneigten Leser, Zuhörer und Zuschauer erklärt, warum Shooter produziert werden und vor allem wie genau (natürlich negativ) diese beim Spieler wirken. An dieser Stelle ein Dank für die kompetenten und sicherlich auch wirksamen Worte zu ihrem neuerkundeten Fachgebiet liebe Gedenkstätten-ExpertInnen!

Gut, was hat Herr Stober noch falsch gemacht, als er die Idee vom Grenzshooter umsetzte? Ganz klar, er hat ohne die etablierten und selbsternannten Experten der deutsch-deutschen Geschichtsaufarbeitung gearbeitet. Diese wurden allesamt erst nach Fertigstellung und der damit verbundenen PR mit dem Spiel konfrontiert, bezeichnenderweise durch andere Medien, die sie auf das Spiel aufmerksam machten. Was bleibt dem Experten da auch anderes übrig, als solch einem „Machwerk“ von vorne herein die positive Wirkung abzusprechen? Um es nochmal ganz deutlich zu sagen: Keiner der Interviewten, keiner der Journalisten und natürlich auch kein Medienpädagoge, der sich gerade in Rage schreibt, hat das Spiel schon anspielen können, aber scheinbar haben alle ein ganz klares Bild vor Augen und dazu natürlich auch eine ganz klare Meinung.

Nun gut, was muss sich der Student der Medienkunst nun aber (jetzt auch ohne Zynismus) wirklich gefallen lassen? Vielleicht den Tipp eines Medienpädagogen, dass auch das beste Serious Game (und davon gibt es wahrlich nicht viele!) nicht von sich alleine aus wirken kann und sollte. Ein Spiel zu erstellen, welches zwar durchaus junge SpielerInnen ansprechen kann, da es u.a. auf dem berühmten Half Life 2 beruht, ist eine Sache, aber dann zu hoffen, dass es von sich aus Wissen vermittelt und aufklärt, ist sicherlich zu kurz gedacht. Hier wäre es wichtig gewesen, von Anfang an auf die Möglichkeiten des Spiels in Projektkontexten zur ehemaligen Grenze einzugehen. Hier wäre es wichtig gewesen, potentiellen Kritikern, aber auch Befürwortern didaktische Materialien noch vor dem Launch, eventuell auch in einer Betaphase wie sie jetzt im Nachgang stattfinden soll (siehe die offizielle Seite zum Spiel: www.1378km.de), anzubieten. Natürlich muss ein Medienkunststudent dies alles eigentlich nicht hinterfragen. Aber gerade wegen der sensiblen Thematik von Mauerschützen und deren Opfer und der damit deutschlandweit zu erwartenden Resonanz wäre eine disziplinübergreifende Herangehensweise an das Thema nicht nur wünschenswert sondern eigentlich unumgänglich gewesen.

Wie gesagt, auch ich habe das Spiel noch nicht spielen können, eventuell waren meine letztgenannten Kritikpunkte auch schon in Bearbeitung, um sie zum Launch das Spiels mit anzubieten, aber leider haben die Hysterie der angesprochenen Vertreter aus Presse, Gedenkstättenarbeit und Politik all dies vorerst verhindert. Natürlich gab es auch neutrale und konstruktive Berichterstattung zum Thema. Aber wie wir feststellen mussten, waren es dann doch die negativen Darstellungen, die polarisierten und u.a. dazu führten, dass das Spiel nicht am 03. Oktober erschien.

Für mich ist der Fall 1378 (km) ein mustergültiges Beispiel dafür, wie populistische Meinungsmache, Halbwissen und -wahrheiten gemixt mit dogmatischen Moralvorstellungen* die Bildungswüste Deutschland weiter auf der Stelle treten lassen.

*Auch ich möchte klarstellen, dass ich die Betroffenheit von Maueropfer-Angehörigen bei diesem Thema respektiere und die gebotene Skepsis zur Umsetzung des Spiels sehr gut nachvollziehen kann.

Gerrit Neundorf Kurzbio
studierte in Leipzig und in Darmstadt Sozialpädagogik, wo er u.a. durch Prof. Dr. Franz-Josef Röll von der Medienpädagogik infiziert wurde. Von 2002 bis Mai 2009 war er als Medienpädagoge beim Landesfilmdienst Thüringen e.V. angestellt und betreute dort mehrere landesweite Projekte. Seit 2007 ist er einer der Leiter von Spawnpoint - Instituts für Spiel- und Medienkultur e.V. Für das Land Thüringen ist er seit 2011 als Jugendschutzsachverständige bei der Unterhaltungssoftware Selbstkontrolle (USK) tätig.
Verfasst am 07.10.2010
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