Soziale Medienpädagogik und Geschichtsdidaktik

Jugendliche schauen auf ihre Handys

Foto: Creative Christians / Unsplash

Der Text stammt von Kristin Oswald und Christian Bunnenberg

Warum und wie sich Medienpädagog*innen mit Geschichtscontent beschäftigen können

Der Hashtag #history wurde auf Instagram 45 Millionen mal geteilt und auf TikTok 60 Milliarden mal aufgerufen. Geschichte ist in den sozialen Medien also kein Randphänomen und diese Geschichtsdarstellungen prägen das Weltbild auch und gerade von Jugendlichen. Geschichtscontent ist demnach für Medienpädagog*innen ein lohnender Zugang für die Reflektion über soziale Medien.

Grundsätzlich können Medienpädagog*innen jedes Thema nutzen, um anhand von zugehörigen Inhalten mit Kindern und Jugendlichen den Umgang mit und die Inhalte von sozialen Medien zu beleuchten. Historischer Content bietet sich hierfür besonders an, weil Geschichte eine quellen- und damit medienkritische Disziplin und es eines der Hauptanliegen des Geschichtsunterrichts ist, dieses kritische Denken den Schüler*innen nahezubringen. Es lohnt deshalb sowohl für Medienpädagog*innen, sich mit den Überschneidungen beider Bereiche zu beschäftigen. Gerade weil sich auf Social-Media-Kanälen häufig die Ebenen von Gegenwart und Geschichte vermischen, ist den Nutzer*innen nicht unbedingt klar, dass Accounts zu historischen Persönlichkeiten oder Ereignissen sowie (politische) Aussagen über die Vergangenheit nicht zwingend authentisch oder faktisch korrekt sind – erst recht angesichts der aktuellen Entwicklungen aus dem Bereich der Künstlichen Intelligenz. Hier gehen Distanz- und Alteritätserfahrungen verloren.

Um historische Inhalte für die Medienpädagogik zu nutzen, ist es wichtig, zu verstehen, dass Historiker*innen zwischen den Begriffen Vergangenheit und Geschichte sowie zwischen Quellen und Darstellungen unterscheiden. Der Begriff Vergangenheit meint das, was tatsächlich geschehen ist, während Geschichte die Deutungen und Darstellungen von Vergangenheit umfasst, die zeit- und perspektivgebundenen sind und daher sich verändern. Die Forschung nähert sich zwar an die Vergangenheit an, kann diese aber nie gänzlich erfassen, weil die Quellen häufig nur fragmentarisch vorliegen und auch Forschende die Vergangenheit immer durch die Brille der Gegenwart wahrnehmen.

Weil die Gegenwart schon immer in verschiedenen Medien verhandelt wurde, ist die Beschäftigung mit Medien vergangener Gegenwarten (= Quellen) ein Kern des Geschichtsunterrichts. Schüler*innen lernen, wie man Fragen an die Vergangenheit stellt und wie man sich Quellen unterschiedlichster Art methodisch annähert. Dafür brauchen sie Gattungs- und Medienkompetenz, um historische Medien zeitlich, formal und inhaltlich einordnen zu können – antike Münzen, das Flugblatt des 17. Jahrhunderts, die Zeitungen des 19. Jahrhunderts und der Social-Media-Post des 21. Jahrhunderts haben jeweils völlig unterschiedliche mediale Charakteristika. Geschichte ist demnach ein klassisches Medienfach, denn Historiker*innen beschäftigen sich mit vergangenen Medien, ihren Darstellungsweisen und Verbreitungen.

Geschichte und Medienpädagogik

Eine zweite Ebene der Beziehung zwischen Geschichte und Medien sind die zeitgenössischen Geschichtsdarstellungen und ihre subjektive Deutung von Vergangenheit. Für die Medienpädagogik ist dabei die Frage interessant, wie Geschichte in sozialen Medien dargestellt wird, weil Geschichtsdarstellungen auch das gegenwärtige Weltbild beeinflussen, da Geschichte in der politischen Kommunikation eine große Rolle spielt. Die Beispiele Russland, USA, Polen oder Ungarn zeigen, dass Legitimation durch Geschichte eine enorme Bedeutung hat. Das ist auch in Deutschland ein Problem, man denke nur an die pseudohistorischen, völkischen Germanenidentifizierungen oder den „Schuldkult“. Die Beispiele des Ukraine-Krieges oder der Präsidentschaft von Donald Trump veranschaulichen, dass die Tatsache, dass jede*r in den sozialen Medien Inhalte erstellen und verbreiten kann, das Bild der Gegenwart beeinflusst. Um solche Geschichtsdarstellungen kritisch einzuordnen zu können, reicht es nicht aus, zwischen Faktizität und Fiktionalität zu unterscheiden, weil sich beides vermischen kann.

Das ist für die Medienpädagogik ein besonders vielversprechender Ansatzpunkt, um Kindern und Jugendlichen die verschiedenen Narrations- und Wirkungsebenen der sozialen Medien zu verdeutlichen: Welche Plattform und welches Format habe ich vor mir? Wer schreibt die Texte? Was sind das für Bilder? Haben diese historischen Quellencharakter oder sind es nur Illustrationen? Aus welcher Perspektive heraus wird das von wem für wen erzählt und warum? Letztlich geht es darum, zu verstehen, dass das Präsentierte kein Abbild der Vergangenheit sein kann, auf das sich Jugendliche berufen können.

Die praktische Seite

Medienpädagog*innen bieten diese Ansätze die Möglichkeit, zeitgenössische Darstellungen der Vergangenheit bspw. auf TikTok zusammen mit Schüler*innen zu betrachten und daran anknüpfend die Medien der Vergangenheit damit zu vergleichen.

Gleichzeitig können die Schüler*innen selbst Social-Media-Inhalte anhand von Originalquellen erstellen, um sich diesen anders zu nähern und sich zu fragen: Was ist berichtenswert? Wie weit sind wir und ist die jeweilige Quelle vom historischen Ereignis weg? Gibt es in den verschiedenen Quellen unterschiedliche Erzählungen? Wie gehen wir damit um und wie kommen wir nahe an dieses Ereignis heran? Und wie verändert sich die Aussage durch deren Uminterpretation und Umschreibung? Auf diese Weise kann die Medienpädagogik zeigen, dass man Medien spezifisch erzählt. Das ist eine wesentliche Erkenntnis: Der historische Gegenstand bleibt immer derselbe, und die Quellen bleiben auch dieselben. Aber das, was in der Eigenlogik des gewählten medialen Formats daraus entsteht, unterscheidet sich.

Der spannende Aspekt der sozialen Medien ist dabei, dass jede*r Produzent*in sein kann. Das ist deshalb so wichtig, weil man als Produzent*in während jedes Produktionsschrittes Rechenschaft darüber ablegen muss, warum man etwas wie macht und warum man etwas außen vor lässt. Wenn man versteht, wie die Plattformen funktionieren, und gleichzeitig praktisch versucht hat, bei der Erstellung von Inhalten Quellenkritik, Multiperspektivität, Kontroverse und Pluralität sowie Transparenz herzustellen, kann man die Schwierigkeiten dieses Prozesses und die Subjektivität des Ergebnisses umso besser nachvollziehen.

Hier kann ein Perspektivwechsel zwischen Medienpädagogik und Geschichtsdidaktik sehr fruchtbar sein: Die Geschichte verfügt über unzählige Quellen und Darstellungen, die sie der Medienpädagogik als konkrete Beispiele zur Verfügung stellen kann. So kann sie mit einem Verständnis von der Komplexität und Konstruktivität von Geschichte eine kritische Betrachtungsweise entsprechender Inhalte und Kanäle weitergeben. Zugleich verfügen Medienpädagog*innen über die passenden Methoden und Konzepte etwa in Bezug auf Empirie und Rezeption, die der Geschichtsdidaktik und der Geschichtswissenschaft fehlen, gerade hinsichtlich der Emotionalität der sozialen Medien.

Fazit

Die beiden Kompetenzfelder überschneiden sich also und es braucht beide, um Schüler*innen im Sinne der Selbstwirksamkeit einen kritischen Umgang mit den sozialen Medien mitgeben zu können. Wünschenswert wäre deshalb ein Empowerment in Hinblick auf die Nutzung, aber auch auf die Produktion von (historischen) Inhalten. Hier können Medienpädagogik und Geschichtswissenschaft bzw. Geschichtsdidaktik in einen Austausch treten. So könnte man die quellenkritischen Methoden der Geschichtswissenschaft und der Digital Humanities in der Medienpädagogik für soziale Medien nutzbar machen. Zugleich könnte die Beschäftigung mit Geschichtsdarstellungen in sozialen Medien auch in medienpädagogischen Kontexten ein Weg sein, einen kritischen Medienumgang an konkreten Beispielen einzuüben.

Der Text stammt von Kristin Oswald und Christian Bunnenberg

Über die Autor*innen

Kristin Oswald studierte Alte Geschichte, Klassische Archäologie und Ur- und Frühgeschichte. Seitdem ist sie vor allem im Bereich Citizen Science sowie in der Wissenschaftskommunikation für Kultureinrichtungen und die Geisteswissenschaften tätig, aktuell gemeinsam mit Christian Bunnenberg im Citizen-Science-Projekt „SocialMediaHistory – Geschichte auf Instagram und TikTok“.

Christian Bunnenberg ist Professor für Geschichtsdidaktik und Public History an der Ruhr-Universität Bochum und Projektleiter von SocialMediaHistory. Er absolvierte ein Lehramtsstudium mit den Fächern Geschichte und Deutsch sowie ein Magisterstudium mit den Fächern Geschichte und Deutsche Philologie.

Literatur

Bernsen, Daniel; Kerber, Ulf (Hrsg.): Praxishandbuch Historisches Lernen und Medienbildung im digitalen Zeitalter, Leverkusen 2017.

Bunnenberg, Christian; Logge, Thorsten; Steffen, Nils: SocialMediaHistory. Geschichtemachen in Sozialen Medien, in: Historische Anthropologie 29, H. 2 (2021) S. 267–283.

Burkhardt, Hannes: Geschichte in den Social Media: Nationalsozialismus und Holocaust in Erinnerungskulturen auf Facebook, Twitter, Pinterest und Instagram, Göttingen 2021.

Demantowsky, Marko; Pallaske, Christoph (Hrsg.) Geschichte lernen im digitalen Wandel, München 2015.

Gundermann, Christine u.a. (Hrsg.): Schlüsselbegriffe der Public History, Göttingen 2021.

Hinz, Felix; Körber, Andreas (Hrsg.) Geschichtskultur – Public History – Angewandte Geschichte, Stuttgart 2020.

Noiret, Serge et al. (Hrsg.): Handbook of Digital Public History, Berlin/Boston 2022.

Steinhauer, Jason: History, Disrupted. How Social Media and the World Wide Web Have Changed the Past, Washington 2022.

von Brandt, Ahasver: Werkzeug des Historikers. Eine Einführung in die Historischen Hilfswissenschaften, Stuttgart 201218

Zündorf, Irmgard; Lücke, Martin: Einführung in die Public History, Göttingen 2018.

Kristin Oswald Kurzbio
Kristin Oswald studierte Alte Geschichte, Klassische Archäologie und Ur- und Frühgeschichte. Seitdem ist sie vor allem im Bereich Citizen Science sowie in der Wissenschaftskommunikation für Kultureinrichtungen und die Geisteswissenschaften tätig, aktuell gemeinsam mit Christian Bunnenberg im Citizen-Science-Projekt "SocialMediaHistory – Geschichte auf Instagram und TikTok".
Verfasst am 11.07.2023
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