Lösch Dich – Einblicke in HateSpeech-Netzwerke

Copyright Rayk Anders / Kooperative Berlin

Letzte Woche hat ein Team um Rayk Anders eine Webvideo-Doku zu einem nach wie vor stark unterbeleuchteten Thema veröffentlicht. Ein Jahr sind der YouTuber und sein Team tief in vor allem rechte Netzwerke vorgedrungen, haben sich Fake-Accounts angelegt und das Vertrauen der Akteure dort erarbeitet. Im militärisch anmutenden und organisierten „Reconquista Germanica“ Netzwerk treffen verschiedenste Akteure – von der rechtsextremen, jungen und netzaffinen Identitären Bewegung bis zum AfD-Funktionär (die rein männliche Schreibweise ist Absicht, Hass scheint vor allem männlich zu sein) – aufeinander, um gemeinsam in einem sogenannten „Infokrieg“ koordinierte Aktionen im Netz zu starten, um vor allem politische Meinungsbildung in ihrem Sinne zu beeinflussen. Sie geben damit wertvolle Einblicke und weiternutzbare Inhalte für die Medienpädagogik.

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Die Dokumentation (auch in der ZDF Mediathek verfügbar) legt sehr jugendaffin Strukturen und Akteure offen und wird hoffentlich auch die Zielgruppe erreichen. Finanziert ist die Aktion von funk, dem jungen Angebot von ARD und ZDF, das 14-29 Jährige im Netz erreichen möchte. Gerade für diese Zielgruppe gibt es wenig zielgruppengerechte Aufarbeitungen dieser Strukturen, hier liefert die Webdoku also gute Ansatzpunkte für die medienpädagogische Arbeit. Gerade die Motivationslagen der Hater und Trolle, so diffus sie auch sind, werden hier gut aufgearbeitet. Auch der Perspektivwechsel auf Menschen, die von Hate-Speech betroffen sind wie Tarik Tefsu helfen hoffentlich, schon früh Empathie und Verständnis bei potentiellen Hater*innen und Trollen aufzubauen.

Durch eine flankierende Aktion von Jan Böhmermann wurde gleich große Aufmerksamkeit sichergestellt:

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Leider wenden die Macher*innen ihr offensichtliches social-media-Know-How nach Veröffentlichung des Webvideos nicht oder kaum an, dem zu erwartenden (koordinierten) Shitstorm aus den Communities von Dorian, Imp und Reconquista wird nicht ernsthaft begegnet. Gerade den vielen Verweisen auf die verkürzten Aussagen der „Helden“ der Trolle und Rechten begegnet man durch einen Zusatzkanal mit den Interviews in voller Länge. Diese Karte wird aber leider weder in der Doku selbst noch in der begleitenden Social-Media-Arbeit ausgespielt. Aus medienpädagogischer Sicht ist dies eine verpasste Chance, zum einen aufzuzeigen, wie eigene Social-Media-Angebote im eigenen Sinne gestaltet werden können, aber auch den noch zweifelnden Jugendlichen aktiv zu begegnen und nicht den Trollen die Definitions-Macht im Kommentarraum zu überlassen.
Auch zeigt sich die verpasste Chance der begleitenden Social-Media-Arbeit in den Kommentaren beim Thema Dorian und Imp. Diese fallen gerne mal durch rechte Ästhetik auf und werden deswegen auch als Teil neu-rechter Strategien ge-/missbraucht, wovon sie sich selbst teilweise distanzieren. Deren tatsächliche Einordnung ist sicherlich zu komplex für diesen kurzen Beitrag hier, die Diskussion um den Vorwurf falscher Kontextualisierung in den Kommentaren wäre aber ebenfalls leicht vorherzusehen gewesen. Dem jetzt stattfindenden Derailing, weg vom Kernthema des organisierten Hasses  – wo der Vorwurf an die Communities von Imp und Dorian durchaus berechtigt ist – hin zum Label ob Rechts oder nicht, könnte man in den Kommentarspalten wesentlich stärker begegnen.

Möglicherweise wird hier ein Grundproblem der Webvideo-Dokumentation (und von Webvideos im Allgemeinen) deutlich: sie funktioniert stark über Gesichter und Personen, während der untersuchte Gegenstand aus einer großen Gruppe Namenloser und anonymer Menschen besteht, die wenigen nicht-austauschbaren Figuren aus dem politisch rechts motivierten Lager im Hintergrund von Reconquista werden weder aufgedeckt noch weiter thematisiert. Auch findet eine Einordnung der orientierungsgebenden AltRight-Bewegung in den USA kaum statt, diese ist zwar Vorbild, dagegen sind aber die Netzwerke und Strukturen in Deutschland zarte Pflänzchen.

Davon abgesehen ist die Dokumentation sehr zu empfehlen und es wird spannend, was die Macher*innen um Rayk Anders und Patrick Stegemann noch daraus machen werden. Gerade die unterschiedlichen Motivationslagen von Hass-Rede im Netz, insbesondere politisch-motiviert oder (angeblich) nicht, wäre ein guter weiterer Faden zum Weiterverfolgen.

Daniel Seitz Kurzbio
lebt in Berlin, hat Mediale Pfade gegründet und brennt für eine freie, politisierte Gesellschaft, die ihre Verantwortung wahrnimmt. Als Medienpädagoge ist er überzeugt, dass Medienbildung einen wichtigen gesellschaftlichen Anteil zu politischer Teilhabe, Selbstentfaltung und Kreativität leisten kann.
Verfasst am 02.05.2018
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